KOLUMNE

Stoppt die Lebensmittelverschwendung!

Stand: 09.04.2022, 10:00 Uhr

Lebensmittel sind teuer wie nie. Für viele wird ausgewogene Ernährung zum Luxus. Dass gleichzeitig täglich tonnenweise Essen in Deutschland weggeschmissen wird, findet Liz Shoo skandalös.

Von Liz Shoo

"Hier steht noch eine einzige Flasche Olivenöl. Soll ich die mitbringen?" Eigentlich stand Öl gar nicht auf unserer Einkaufsliste. Trotzdem habe ich meinem Mann gesagt, er soll sich diese letzte Flasche schnappen. In diesen Zeiten ist das ja fast wie ein Jackpot. In manchen Facebook- und WhatsApp-Gruppen werden sogar heiße Tipps ausgetauscht, wohin gerade eine neue Palette Mehl geliefert wurde oder in welcher Filiale noch Speiseöl zu haben ist. Auf einmal sind Grundnahrungsmittel zu wertvollen Schätzen geworden.

Preiserhöhungen belasten besonders Einkommensschwache

Wertvoller erscheinen uns bestimmte Produkte dabei aber nicht nur, weil sie in manchen Supermarkt-Regalen plötzlich fehlen, sondern auch, weil sie teurer geworden sind. Butter, Fleisch, Wurst, Kaffee - erst jüngst hat Aldi verkündet, die Preise für rund 400 Produkte erhöhen zu müssen. Dass andere Supermärkte und Discounter prompt nachgezogen sind, ist nicht überraschend.

Natürlich treffen die plötzlichen Preiserhöhungen nicht alle gleich. Dass die Butter statt 1,65 Euro nun über 2 Euro kostet, ist einigen wenigen vielleicht nicht mal aufgefallen. Anderen dagegen sehr wohl. Für Millionen Menschen bedeutet so ein Preissprung nämlich, dass ihr sowieso schon knappes Geld nicht mehr für eine gesunde, ausgewogene Ernährung reicht.

Da verwundert es kaum, dass die Tafeln in NRW momentan einen Zulauf wie nie erleben.

Singles, die von Harz IV oder der Alterssicherung leben, haben jeden Tag nur 5 Euro für Lebensmittel. 5 Euro! Für mich ist es unverständlich, wie man damit auskommen soll.

Theoretisch ist genug für alle da

Noch weniger verständlich ist für mich, dass gleichzeitig jeden Tag tonnenweise Lebensmittel einfach weggeschmissen werden. Wie paradox ist das denn bitte? Allein in Deutschland landen jedes Jahr rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll.

"Diese Art von Verschwendung muss aufhören! Denn sie ist nicht nur schädlich für die Wirtschaft und die Umwelt, sondern vor allem ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, für die ein voller Kühlschrank keine Selbstverständlichkeit ist." Liz Shoo

Im Großen und Ganzen ist genug für alle da. Wir müssen nur mit den Lebensmitteln, die uns zur Verfügung stehen, sorgsamer umgehen. Und hier ist wirklich jeder gefragt: Privathaushalte, die Gastronomie, der Handel, die Landwirtschaft und die Politik.

Privathaushalte sind die größten Verschwender

Fangen wir bei uns selbst an: Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sind wir Verbraucher die größten Wegwerfer. Gut die Hälfte der "Lebensmittelabfälle" entsteht zu Hause. 86 Prozent der deutschen Haushalte werfen Lebensmittel weg, die noch genießbar und verwertbar gewesen wären.

In meiner eigenen Mülltonne liegen gerade eine Packung längst abgelaufener Maultaschen, eine halbe vertrocknete Brezel und zwei faule Mandarinen. Diesen Müll hätte ich vermeiden können, wenn ich meinen Einkauf besser geplant und meine Mandarinen besser gelagert hätte. UND wenn ich mir nicht hätte einreden lassen, dass ich durch das Kaufen von XXL-Packungen spare.

Natürlich muss auch der Groß- und Einzelhandel seinen Beitrag leisten. Er ist immerhin auch für vier Prozent Lebensmittelverschwendung im Jahr verantwortlich. Der Einzelhandel könnte den Verbraucher beispielsweise dazu "erziehen", nicht rund um die Uhr ein volles Sortiment zu erwarten. Dass viele Bäckereien in Supermärkten und Discountern sogar vertraglich verpflichtet sind, bis kurz vor Ladenschluss ein umfangreiches Angebot an Backwaren anzubieten, geht meiner Meinung nach gar nicht. Da ist Verschwendung ja garantiert!

Lebensmittelspenden sind nicht lukrativ

Dazu kommen dann noch Gesetze, die ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann: Wenn Supermärkte Lebensmittel, die für sie selbst nicht mehr attraktiv sind, spenden wollen, diese aber nicht kurz vor dem Ablaufdatum stehen, müssen Händler in der Regel für so eine Spende Umsatzsteuer zahlen. Wer tut das schon freiwillig?

Und dann wäre da noch die Sache mit der Haftung: Bis das Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist, haftet der Hersteller für die Qualität der Waren. Danach der Händler. Bei diesem Aufwand und Risiko ist es für mich nicht überraschend, dass Supermärkte und Discounter nicht verkaufte Lebensmittel lieber in den Müll schmeißen, statt sie an Bedürftige abzugeben.

Lebensmittel-Rettung wird kriminalisiert

Einige Menschen versuchen diese weggeworfenen Lebensmittel wieder aus dem Müll zu fischen. Das nennt man "Containern". Problem: Damit macht man sich strafbar. Total absurd, finde ich. Der Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) angeblich auch. Doch während es in der Politik bei Empörung bleibt, sind Verbraucher schon viele Schritte weiter. Mit Apps lassen sich inzwischen viele von Restaurants, Bäckereien oder Catering-Anbietern benachrichtigen, wenn gutes Essen vom Tag noch übrig ist. Das kann dann kostenlos oder zu einem Bruchteil des Originalpreises abgeholt werden.

Die Politik hat es in der Hand

Eigentlich hat die Ampel-Regierung das Thema auf dem Schirm: "Wir werden gemeinsam mit allen Beteiligten die Lebensmittelverschwendung verbindlich branchenspezifisch reduzieren, haftungsrechtliche Fragen klären und steuerrechtliche Erleichterung für Spenden ermöglichen", heißt es im Koalitionsvertrag. Doch auch die ambitioniertesten Pläne bringen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden. Man könne nicht die gesamten Koalitionsvereinbarungen innerhalb der ersten 100 Regierungstage umsetzen, so der Ernährungsminister kürzlich. Außerdem gäbe es da ja noch andere Krisen wie Corona und den Krieg in der Ukraine. Ich denke aber: Das Thema Lebensmittelverschwendung muss gerade jetzt ganz oben auf der Prioritäten-Liste stehen!

Wir brauchen Gesetze, die es dem Einzelhandel verbieten, noch genießbare Lebensmittel wegzuschmeißen. Steuerliche Hürden für Lebensmittelspenden sollten abgebaut und die Spender selbst von der Haftung befreit werden. Dass genau solche Gesetze wirken, zeigen Länder wie Frankreich, Italien oder Finnland, wo es seit 2016 neue Regelungen gibt. Seitdem werden dort viel weniger Lebensmittel verschwendet.

Diese Länder sollten wir uns zum Vorbild nehmen. Wir müssen alle lernen, den Wert von Lebensmitteln mehr zu schätzen. Lebensmittel sind - wie der Name schon verrät - unsere Mittel zum Leben. Jeder Mensch sollte davon täglich genug für ein gutes Leben haben.

Werfen Sie auch schon mal Essen weg? Oder kaufen Sie immer so ein, dass erst gar nichts verschwendet wird? Und wie sollten übrig gebliebene Lebensmittel aus dem Handel besser verteilt werden? Lassen Sie uns darüber diskutieren - in den Kommentaren bei WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Peanuts 11.04.2022, 16:19 Uhr

    Wer bei 12€ Mindestlohn noch über Luxusernährung schwadroniert, ohne den Spargelanbau zu hinterfragen, der möge sich doch bitte Mal längere Zeit mit Spinat und Kartoffeln durchschlagen. Bei Beamten ist richterlich ein Lohnabstandsgebot zu H4 Erfolgt, welches sich in Kindergeld von 800 € für 3. Kind z.B niederschlagen soll. Wohingegen ver.di nichts gegen Armut der arbeitenden Bevölkerung im unteren Sehr man ent unserer Nahrungskette unternimmt. Es muss für alle ein finanzierbares Grundsortiment an Nahrungsmitteln in einem gesonderten Warenkorb definiert werden, sodass der Überfluß außerhalb des Korbes für jeden sichtbar täglich per Preis kleiner wird/ würde?!

  • Ylander 09.04.2022, 20:16 Uhr

    Eine ausgewogenen Ernährung muss nicht teuer sein. Man muss nur günstig einkaufen und Essen zubereiten können. Doch das kann man lernen. Der Fernsehkoch Björn Freitag hat sich hier als Vorkoster verdient gemacht, indem er in beiden Punkten Familien, die damit Problem hatten, weiter half.

  • Maria Evers 09.04.2022, 17:20 Uhr

    Ist doch nur ein Symptom, was es bräuchte wäre ein Gesamtpaket der Vernunft, vom weltweiten Umgang mit dem Ressource bis zu einer Geburtenregelung. Bis dahin werden noch viele Lebensmittel in der Tonne landen, letztendlich gefolgt von uns Menschen.

    • Ylander 09.04.2022, 20:17 Uhr

      Das stimmt, doch die meisten Menschen sind augenscheinlich nicht dazu bereit, aus welchen Gründen auch immer.