Klima-Expertenrat: Klimaziele für 2030 wohl kaum noch zu erreichen

Stand: 04.11.2022, 22:00 Uhr

Schlechte Nachrichten kurz vor der nächsten Welt-Klimakonferenz: Deutschlands Klimaziele für das Jahr 2030 sind nach Einschätzung des Expertenrats der Bundesregierung in großer Gefahr.

Von Jörn Seidel

Die Bundesregierung muss deutlich mehr für den Klimaschutz tun. Das geht aus dem ersten Zweijahres-Gutachten des Expertenrates für Klimafragen hervor, den das Gremium am Freitag vorgestellt hat - zwei Tage vor Beginn der Welt-Klimakonferenz in Ägypten. Überraschend ist das Ergebnis keineswegs. Trotzdem ist das Gutachten von großer Bedeutung. Warum? Wie weit ist Deutschland nun also bei der Erreichung seiner Klimaziele? Fragen und Antworten.

Wer ist der Expertenrat für Klimafragen?

Strommasten und Windräder rund um das Kohlekraftwerk Neurath des Stromkonzerns RWE. | Bildquelle: IMAGO/Christoph Hardt

Der Expertenrat für Klimafragen besteht aus fünf Sachverständigen, die für jeweils fünf Jahre von der Bundesregierung berufen werden. So verlangt es das Bundes-Klimaschutzgesetz. Das Gremium prüft die jährlich durch das Umweltbundesamt erstellten Daten der Treibhausgasemissionen und erstellt Gutachten.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Klima-Expertenrates?

Bis zum Jahr 2021 sind die Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zum Jahr 2000 temperaturbereinigt lediglich um rund 27 Prozent zurückgegangen, so ein Ergebnis des Gutachtens. Gemessen am internationalen Vergleichswert 1990 ist das ein Rückgang um knapp 39 Prozent. Das selbstgesteckte Ziel der Bundesregierung ist es jedoch, den Ausstoß der Treibhausgabe noch deutlich mehr zu drosseln. So ist es im Bundes-Klimaschutzgesetz festgelegt:

  • Klimaschutzziel 2030: 65 Prozent weniger Treibhausgase im Vergleich zu 1990
  • Klimaschutzziel 2045: 100 Prozent weniger Treibhausgase im Vergleich zu 1990 (Treibhausgasneutralität)
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"Im Moment sieht es nicht so aus, als könnten wir die Ziele erreichen", sagte die Physikerin und Klimawissenschaftlerin Brigitte Knopf in ihrer Funktion als stellvertretende Vorsitzende des Expertenrates.

"Mit einem 'Weiter so' werden wir die Klimaziele für das Jahr 2030 definitiv nicht erreichen." Brigitte Knopf, Expertenrat für Klimafragen
Brigitte Knopf vom Expertenrat für Klimafragen | Bildquelle: dpa/ Monika Skolimowska

Um das Klimaziel zu erreichen, müssten laut Expertenrat-Gutachten in den kommenden zehn Jahren mindestens doppelt so viel klimaschädliche Gase eingespart werden wie in den vergangenen zehn Jahren.

In manchen Sektoren konnten die Treibhausgase seit 2000 deutlich reduziert werden, vor allem in der Abfallwirtschaft, aber auch in der Energiewirtschaft oder bei den Gebäuden. Deutlich weniger Reduktion gab es im Verkehr, in der Landwirtschaft und in der Industrie - dort müsse dringend nachgebessert werden, ermahnte der Expertenrat die Bundesregierung.

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Ein zentrales Problem sei, so der Expertenrat, dass das Eingesparte nicht reicht, um das auszugleichen, was zum Beispiel durch größere Wohnungen, mehr Autos oder mehr Produktion in der Industrie verursacht wird. So seien die deutschen Treibhausgasemissionen von 2020 auf 2021 sogar wieder leicht angestiegen.

Welche Bedeutung hat das Gutachten des Klima-Expertenrates?

"Das Ergebnis des Gutachtens überrascht niemanden. Trotzdem ist die Bedeutung Expertenrates und seines Gutachtens enorm", sagt Lorenz Beckhardt von der WDR-Wissenschaftsredaktion Quarks.

Lorenz Beckhardt, WDR-Wissenschaftsredakteur | Bildquelle: WDR

"Es gehört zu den wichtigsten Elementen des Klimaschutzgesetzes, dass es eine unabhängige Expertise vorsieht, die von außen bewertet, ob die Bundesregierung ihre selbst gesteckten erreicht", so Beckhardt.

Auf der vergangenen Weltklimakonferenz in Glasgow habe man sich auf ähnliche Methoden zur Messung der nationalen Klimaschutz-Bestrebungen verständigt. Mit seinem gesetzlich vorgeschriebenen, unabhängigen Expertenrat sei Deutschland vergleichsweise fortschrittlich, so der Quarks-Redakteur.

Nun müsse die Bundesregierung mit ihren einzelnen Ministerien auch Schlussfolgerungen aus dem Gutachten ziehen, so Beckhardt. Denn auch das verlange das Klimaschutzgesetz. Insofern sei es spannend, wie die Regierung nun auf das Gutachten reagiere.

Welche ersten Reaktionen gibt es auf das Gutachten?

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) räumte am Freitag in einer ersten Reaktion auf das Gutachten ein:

"Ja, wir haben in enorm kurzer Zeit enorm viel aufzuholen. Und ja, es gibt noch Lücken. Es ist extrem anspruchsvoll, die Ziele zu erreichen." Robert Habeck, Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister

Umweltorganisationen sahen sich in ihrer Kritik an der Bundesregierung bestärkt. Bei der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten, die am Sonntag beginnt, werde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "den anderen Ländern erklären müssen, warum Deutschland nicht entschiedener gegen die Klimakrise vorgeht", erklärte die Vorständin der Klima-Allianz Deutschland, Christiane Averbeck.

Die Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae, erklärte, der nötige Zubau an erneuerbaren Energien sei machbar. Erste Weichen habe die Bundesregierung auch bereits gestellt, mehr sei aber nötig. "Um den Turbo zu zünden, brauchen wir dringend mehr Flächen für Erneuerbare, schlankere Verfahren und ein klares Bekenntnis zum Ausbau der regenerativen Energien auf allen staatlichen Ebenen."

Auch das bisher noch in der Regierungsabstimmung befindliche Klimaschutzsofortprogramm müsse endlich kommen, so Andreae.

Über dieses Thema berichtete der WDR am 04.11.2022 auch in den Hörfunknachrichten - unter anderem bei WDR5.