Landtag setzt Untersuchungsausschuss zu Attentat in Solingen ein | WDR Aktuell

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Terroranschlag in Solingen: Landtag setzt Untersuchungsausschuss ein

Stand: 14.11.2024, 13:08 Uhr

Beim Attentat in Solingen starben drei Menschen. Welche Fehler machten die Landesregierung und die Behörden? Einstimmig haben alle Fraktionen im NRW-Landtag die Einsetzung des "Parlamentarischen Untersuchungsausschusses Terroranschlag vom 23.08.2024" beschlossen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum fünften PUA des NRW-Landtags in dieser Legislaturperiode.

Von Sabine Tenta

Am 23. August starben bei einem Stadtfest in Solingen drei Menschen durch einen Terroranschlag mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund. Acht weitere Opfer wurden verletzt. Ein tatverdächtiger Syrer befindet sich in Untersuchungshaft. Er soll über Bulgarien nach Deutschland gekommen sein und hätte eigentlich abgeschoben werden sollen.

Mitte September kündigte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ein umfangreiches Migrations- und Sicherheitspaket der Landesregierung an. Die konkrete Aufarbeitung, wie es zu dem Anschlag kommen konnte, soll nun ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) klären. Einstimmig stimmten am Donnerstag alle Fraktionen dem Einsetzungsbeschluss zu.

Was kann der Untersuchungsausschuss leisten?

Ein PUA hat weitreichende Befugnisse, er kann Zeuginnen und Zeugen vorladen und befragen und Akteneinsicht nehmen. Das geht weit über die Möglichkeiten eines regulären Fachausschusses hinaus. Deshalb wird ein PUA gerne auch als "schärfstes Schwert der Opposition" bezeichnet. Manchmal reicht schon die Androhung eines PUAs, um Bewegung in eine parlamentarische Aufarbeitung zu bringen.

Bemerkenswert beim Solingen-PUA ist, dass die regierenden Parteien CDU und Grüne als erste einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss anregten. Damit haben sie in der Debatte der Opposition, also SPD, FDP und AfD, quasi den Wind aus den Segeln genommen.

Was wird konkret untersucht?

Zentral ist die genaue Definition des Untersuchungsauftrags und -zeitraums. Beides steckt den rechtlichen Rahmen ab, in dem sich der Untersuchungsausschuss in den nächsten Monaten bewegen darf. Fragen, die darüber hinaus gehen, müssen beispielsweise von Zeuginnen und Zeugen nicht beantwortet, Akten dazu nicht herausgerückt werden.

Der Wortlaut des Auftrags wird in einem Satz definiert, der sich über elf (!) Zeilen erstreckt. Kurzgefasst geht es darum, "mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und etwaiges Fehlverhalten der Landesregierung" und der ihr untergeordneten Behörden zu untersuchen. Aber auch die Kommunikation der Landesregierung mit der Öffentlichkeit und dem Parlament wird Gegenstand des PUA sein. Der Zeitraum erstreckt sich vom 01.06.2022 bis zur Einsetzung des PUA, also den 14.11.2024.

Auf 18 Seiten legt der Einsetzungsbeschluss neben dem groben Rahmen auch zahlreiche Detailfragen fest. Sie sind verteilt auf zwei Themenkomplexe. Zu "Ausländerrechtliche Fragestellungen" gehören diese Themen: Asylantrag und die gescheiterte Abschiebung des Tatverdächtigen, die Tätigkeiten der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld und mögliche strukturelle Mängel im EU-Recht ("Dublin-III-Abkommen").

Der zweite Themenkomplex "Terrorgefahr, Islamismus und psychologische und seelsorgerische Betreuung" umfasst unter anderem: Kenntnisse des Verfassungsschutzes über den Tatverdächtigen, Erkenntnisse zu seiner Radikalisierung, Terrorgefahr und Islamismus in NRW sowie die Betreuung der Opfer des Anschlags.

Was ist zu erwarten?

Es werden zahlreiche Zeuginnen und Zeugen vernommen werden - aus allen Ebenen der Landesregierung und der Verwaltung. Konkret werden Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne), Innenminister Herbert Reul (CDU) und Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) befragt werden, teilweise wohl auch mehrfach. Aber auch Staatssekretärinnen und -sekretäre sowie Abteilungsleitungen müssen sich den bohrenden Fragen der Abgeordneten stellen. Zusätzlich können externe Sachverständige zur Aufklärung herangezogen werden.

So werden zahlreiche Einzelheiten zu den Abläufen zusammengetragen. Es wird auch sehr detailliert nachgezeichnet, wer wann was öffentlich gesagt hat, aber zuvor nach Aktenlage schon gewusst hat oder haben könnte/müsste.

Wie war die Debatte zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses?

Die Abgeordneten aller Fraktionen waren sich einig, dass es im Untersuchungsausschuss um eine sachliche Aufarbeitung des Terroranschlags fernab parteipolitischer Interessen gehen müsse. Das könne auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie stärken. Aber eine Debatte um eine Veröffentlichung des Kölner Stadt-Anzeiger (KStA) am selben Tag gab einen Vorgeschmack auf den Untersuchungsausschuss und lässt erahnen, dass es dort auch um parteipolitische Scharmützel gehen könnte.

Im Artikel "E-Mail belegt, dass das Ministerium frühzeitig über den Täter informiert war" wird aus einer E-Mail vom Samstagabend (24. August) zitiert, die an mehrere hochrangige Personen im Ministerium, aber nicht an Ministerin Paul adressiert war und sich mit dem mutmaßlichen Täter befasst. Bislang sagte die Ministerin, gesicherte Erkenntnisse hätten erst am Sonntag vorgelegen. Ist das ein Widerspruch? Oder ist das Adjektiv "sicher" nicht vielmehr entscheidend?

Die SPD-Abgeordnete Lisa-Kristin Kapteinat fragte Flüchtlingsministerin Paul, ob sie da nur etwas verschwiegen oder die Öffentlichkeit belogen habe. Auch der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke adressierte die Ministerin, sie habe sich "bereits heute in eklatante Widersprüche" verstrickt. Da half auch nicht die Zwischenfrage des Grünen-Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh, ob das fair sei, da nach einem parlamentarischen Brauch die Landesregierung bei einer Einsetzungsdebatte wie der heutigen nicht das Wort ergreife und sich Ministerin Paul nicht verteidigen könne.

Welche weiteren Untersuchungsausschüsse gibt es im NRW-Landtag?

Der PUA zum Terroranschlag ist der fünfte Untersuchungsausschuss in dieser Legislaturperiode. Die PUAs werden mit römischen Ziffern durchnummeriert und mit einem Schlagwort versehen.

  • Untersuchungsausschuss I: "Kindesmissbrauch" zu den Taten in Lügde
  • Untersuchungsausschuss II: "Hochwasserkatastrophe" zur Flut vom Juli 2021
  • Untersuchungsausschuss III: "Brückendesaster und Infrastrukturstau" zur Rahmedetalbrücke
  • Untersuchungsausschuss IV: "OVG-Besetzung" zur Besetzung der Leitung des Oberverwaltungsgerichts

Alle Untersuchungsausschüsse werden einen Abschlussbericht vorlegen. Im Idealfall ist er gefüllt mit konkreten Lehren und Verbesserungen für die Zukunft.

Über dieses Thema berichten wir am Donnerstag auch im WDR-Fernsehen und WDR-Hörfunk, unter anderem im WDR-5-Landesmagazin Westblick ab 17.04 Uhr.

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