Statt einer Ampel regiert in Berlin nur noch eine Rumpf-Regierung aus SPD und Grünen. Eine Minderheitsregierung, die sich in den verbleibenden Wochen bis zur Neuwahl für jedes Gesetz, das sie noch verabschieden will, jeweils Mehrheiten im Bundestag suchen muss. Darunter sind Gesetze mit weitreichenden Folgen für die Bürgerinnen und Bürger. Eine Übersicht mit den wichtigsten Folgen.
Deutschlandticket
Ein Nahverkehrsticket für ganz Deutschland zu einem günstigen Preis - diese Tarifrevolution könnte zu den herausragenden Errungenschaften der Ampel gehören - vorausgesetzt, die Finanzierung wird noch durch den Bundestag gesichert. Ohne könnte das Deutschlandticket auf der Kippe stehen. Denn die Länder sind dringend auf die Unterstützung durch den Bund angewiesen. Die mit dem Ticket verbundene Hoffnung, dass mehr Menschen das Auto stehen lassen und Bus und Bahn nutzen, hat schon durch die Preiserhöhung auf 58 Euro, die ab dem nächsten Jahr kommen soll, einen Dämpfer erhalten.
Würde es noch teurer, könnten immer mehr Kundinnen und Kunden abspringen. Erschwerend kommt hinzu, dass teilweise die Zuschüsse von Arbeitgebern zum Deutschlandticket eingespart werden. Die Stadt Köln beispielsweise streicht den 7.000 Beschäftigten der Verwaltung im nächsten Jahr den Zuschuss, sodass sich das Ticket in Summe um knapp 60 Prozent erhöht, wie der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet. Eine sinkende Nachfrage könnte das gesamte Finanzkonstrukt des Tickets ins Wanken bringen. Es droht ein Aus.
Bahn-Sanierung
Egal ob mit Deutschlandticket im Nahverkehr oder im Fernverkehr - wer die Bahn nutzt, weiß, wie sanierungsbedürftig sie ist. Auch in NRW sind etliche Großprojekte der Bahn. Sie werden während der Sanierung eine Herausforderung für Pendlerinnen und Pendler bedeuten, aber danach spürbare Entlastung versprechen: Dazu gehören Arbeiten am Knoten Köln, einer der wichtigsten Drehscheiben für den Bahnverkehr im Westen. Oder die Modernisierung von Bahnhöfen wie in Mönchengladbach, wo bis 2028 für rund zwölf Millionen Euro die Bahnsteige und die Aufzüge im Hauptbahnhof saniert werden sollen. Oder die Megabaustelle am Niederrhein zwischen Emmerich und Oberhausen, wo bis Mai 2026 ein Ausbau für den europäischen Güterverkehr erfolgen soll.
Ist eines dieser Großprojekte in Gefahr? Drohen hier und bei anderen dringend nötigen Sanierungen Verzögerungen? Die Deutsche Bahn gibt sich zugeknöpft, denn noch ist nichts entschieden. Auf Anfrage heißt es nur: "Wir bitten um Verständnis, dass wir uns zu den Diskussionen über den Haushalt derzeit nicht äußern." Aber sicher ist: Ohne regulären Haushalt für das kommende Jahr wird es schwerer. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (parteilos, ehemals FDP) hatte 16,2 Milliarden Euro für die Bahn-Sanierung vorgesehen, unter anderem finanziert aus dem laufenden Haushalt. Dass der neue Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) einen Haushalt aufstellt und die Minderheitsregierung aus SPD und Grünen dafür eine Mehrheit findet, gilt als unwahrscheinlich.
Kohleausstieg 2030
Wackelt der Kohleausstieg 2030? Hier könnte für NRW durch die unvollendete Bundesregierung besonders drastische Folgen auf uns zukommen. Denn der Kohleausstieg 2030 hängt an dem Bau neuer Gaskraftwerke in NRW. Sie werden dringend gebraucht, um die Zeiten zu überbrücken, in denen erneuerbare Energien keinen Strom liefern können. Dafür braucht es staatliche Unterstützung vom Bund.
Die Kraftwerksstrategie von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fiel wegen der Finanznöte des Bundes schon knapper aus als erhofft, aber immerhin kam sie, wenn auch mit reichlich Verspätung. Ein Gesetz mit dem Titel "Kraftwerkssicherheitsgesetz" sollte den rechtlichen Rahmen für die Förderung setzen - und droht nun auf den letzten Metern auf der Strecke zu bleiben. Und damit wird der Kohleausstieg 2030 in NRW immer schwerer.
Hendrik Wüst
Die Betreiber der Gaskraftwerke haben immer wieder darauf hingewiesen, dass der Bau eines Gaskraftwerks mindestens fünf Jahre dauert. Bis 2030 müssten sie stehen, damit der Kohleausstieg gelingen kann. Das wird knapp. Sehr knapp. Das weiß auch NRW-Ministerpräsident Wüst, der am Dienstag in Düsseldorf den Zeitdruck bestätigte und eine Lösung andeutete: Mit Standardisierungen in Form von Typengenehmigungen gehe der Kraftwerksbau auch schneller. Daran müsse man jetzt arbeiten und "nicht die Flinte ins Korn werfen".
Steuerentlastung durch Ausgleich der "kalten Progression"
Wer den entlassenen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) noch aus seiner Zeit in NRW kennt, weiß, dass die kalte Progression von ihm als besonders große Ungerechtigkeit empfunden und entsprechend oft angeprangert wurde. Auf den Seiten des Bundesfinanzministeriums findet sich diese Definition: "Der Begriff der 'kalten Progression' bezeichnet eine Art schleichende Steuererhöhung, wenn eine Gehaltserhöhung komplett durch die Inflation aufgefressen wird, aber dennoch zu einer höheren Besteuerung führt. Ergebnis: Obwohl das Gehalt gestiegen ist, hat man real weniger Geld in der Tasche."
Lindners Ausgleich der kalten Progression sollte die Bürgerinnen und Bürger im nächsten Jahr um satte zwei Milliarden Euro entlasten. Das Gesetz dazu ist noch nicht verabschiedet, der Ausgang ungewiss. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nannte am Dienstag in Düsseldorf eher technische Gründe, warum er denkt, dass dies keine Mehrheit im Bundestag finden wird. Die kalte Progression sei Teil eines Gesamtpakets, "da sind ja viele Sachen drin", auch die müssten dann mit beschlossen werden. Wüst schätzt, dass "das eher nachher im Wettstreit der Parteien vor der Bundestagswahl abgebildet".
Kindergeld
Schon in wenigen Wochen, nämlich ab 2025, sollte es eigentlich mehr Geld für Familien geben: Das Kindergeld und der Kindersofortzuschlag für von Armut betroffene Familien sollen pro Kind und Monat um fünf Euro steigen, der Kinderfreibetrag um 60 Euro pro Jahr. Der Bundestag muss noch final darüber abstimmen. Findet sich eine Mehrheit? Von allen Gesetzen, die die Ampel auf den Weg gebracht hat, scheint dieses zu den unstrittigen zu gehören. Wer im Bundestag gegen eine Entlastung von Familien stimmt, wird wohl gute Argumente brauchen.
Rentenreform
Wesentlich komplexer und bereits in der Ampel höchst umstritten war die Rentenreform, die zuletzt auch vom damaligen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wieder infrage gestellt wurde. Es war ein hart erkämpfter Kompromiss, bei dem SPD und FDP jeweils ihnen wichtige Positionen durchsetzen konnten. Sozialminister Hubertus Heil (SPD) wollte das Rentenniveau dauerhaft auf den aktuellen Stand festschreiben. Bundesfinanzminister Lindner war der Einstieg in eine Aktien-basierte Rente wichtig. Beides war und ist umstritten - auch wegen der Folgen für die künftigen Generationen.
Christian Lindner und Olaf Scholz
Die Festschreibung des Rentenniveaus auf aktuell 48 Prozent hätte angesichts der demografischen Entwicklung Folgen für die heutigen Beitragszahlenden und/oder den Bundeshaushalt. Denn die Babyboomer stehen vor dem Ruhestand. Der muss dann entweder von den jüngeren Erwerbstätigen über höhere Beiträge getragen werden oder der Staat muss Geld zuschießen. Dafür wollte die FDP einen Fonds schaffen, der sich aus Krediten speist und in Aktien investiert. Kritikerinnen und Kritiker nannten das auch eine schuldenfinanzierte staatliche Börsenspekulation.
Eine Reform der staatlich unterstützten privaten Vorsorge - konkret der Riester-Rente - war ebenfalls Teil der Rentenreform. Ist es gut oder schlecht, dass all das jetzt voraussichtlich nicht umgesetzt wird? Das muss jede und jeder für sich beantworten - und wird bestimmt auch Teil des kommenden Wahlkampfs sein.
Mietpreisbremse
Die aktuelle Mietpreisbremse ist bis Ende 2025 befristet. Eigentlich wollte die Ampel sie bis 2028 verlängern. Hier hatte die Regierungspartei FDP nur zähneknirschend zugestimmt, in der Opposition wird sie das Gesetz wahrscheinlich ablehnen. Damit würde die staatliche Schützenhilfe für Mieterinnen und Mieter Ende 2025 auslaufen.
Altschulden-Lösung für die Kommunen
Es ist ein Dauer-Thema, das uns in NRW seit vielen Legislaturperioden begleitet und für das die unterschiedlichsten Lösungsansätze diskutiert wurden. Spätestens im Herbst 2025, wenn in NRW Kommunalwahlen sind, wird die drückende Altschulden-Last der Kommunen ein zentrales Thema sein. Würden den klammen Kommunen die Last der Schulden genommen, hätten sie viel mehr Gestaltungsspielraum für wichtige Aufgaben wie die Sanierung von Schulen, den Ausbau des Nahverkehrs oder den Erhalt von Schwimmbädern.
Im Sommer hatte die NRW-Landesregierung einen Vorschlag gemacht, wie sich Land und Bund ein Altschulden-Paket in Höhe von 15 Milliarden Euro teilen können. Dabei habe man sich eng an die Regeln des Bundes gehalten, betonte Wüst am Dienstag in Düsseldorf. Nach langer Prüfung habe man jüngst aus Berlin die Bestätigung bekommen, dass der Vorschlag aus NRW mit den Anforderungen und Maßstäben des Bundes vereinbar sei. "Das habe ich denen am ersten Tag schon gesagt", so Wüst, "wir hätten 1.000 Ideen dazu haben können, teilweise abweichend vom Bund, die wir teilweise auch für besser halten, aber wir haben uns an die Regeln gehalten, die die Bundesregierung kommuniziert hat". Ein Vorgang, den Wüst mit einem ironischen "schön" kommentierte. Nun werde sich zeigen, ob Rot-Grün "willens und in der Lage ist", diese Vereinbarung umzusetzen.
Und wenn der Bund nicht liefert? Dann könnte dies die NRW-Landesregierung unter Zugzwang setzen. Denn CDU und Grüne haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass für den Fall NRW im Alleingang die Kommunen entlastet und einen Altschuldenfonds einrichtet.
Über die Pressekonferenz von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst berichten wir am Dienstag auch im WDR-5-Landesmagazin Westblick ab 17.04 Uhr und im WDR-Fernsehen in der Aktuellen Stunde ab 18.45 Uhr.
Unsere Quellen:
- Kölner Stadt-Anzeiger: Stadt Köln streicht Zuschuss zum Deutschlandticket
- Deutsch Bahn informiert über Bauprojekte im Westen
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über geplante Änderungen beim Kindergeld
- Hintergrund: Was man über die Rente wissen muss (tagesschau.de)
- Mietpreisbremse soll verlängert werden (tagesschau.de)
- Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz informiert über das Kraftwerkssicherheitsgesetz
- FAQ des Bundesfinanzministeriums zur "Kalten Progression"
- Koalitionsvertrag von CDU und Grünen in NRW
- Eigenrecherchen der Reporterin