Infektionszahlen steigen: Steht NRW am Anfang einer zweiten Corona-Welle?

Stand: 31.07.2020, 21:16 Uhr

  • Zahl der Neuinfektionen so hoch wie seit Wochen nicht
  • Amtsärzte schlagen Alarm
  • Wissenschaftler sind uneins, ob die zweite Welle kommt

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland ist so hoch wie seit Wochen nicht. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) haben die Gesundheitsämter am Donnerstag (30.07.2020) 902 neue Fälle gemeldet. Das ist die höchste Zahl seit Mai - abgesehen vom lokalen Ausbruch beim Schlachtbetrieb Tönnies. Am Freitag kamen noch mal 870 neue Fälle hinzu. Dabei hatten Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen lange Zeit dafür gesorgt, dass die neuen Fallzahlen bei lediglich 300 bis 500 pro Tag lagen.

Den Umschwung erklärt sich das RKI mit einer gewissen Sorglosigkeit in der Gesellschaft. Umfragen stützen das. Die meisten Menschen schätzen die Gefahr einer Ansteckung geringer ein als vor einigen Wochen. Amtsärzte schlagen hingegen Alarm: Für eine zweite Welle seien die Gesundheitsämter viel zu knapp besetzt. Aber kommt die auch? Oder sind wir schon drin?

Sind wir auf eine zweite Welle vorbereitet?

Frag dich fit – der Gesundheitspodcast mit Doc Esser und Anne 30.07.2020 21:36 Min. Verfügbar bis 29.07.2033 WDR 2


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Wie ist die Lage in NRW?

In NRW steigt die Kurve langsam an. Es gibt zwar bis auf einen lokalen Ausbruch mit mehr als 50 Infizierten nach einem privaten Fest in Kleve keine extremen Ausschläge, allerdings steigen die Zahlen vielerorts kontinuierlich. Gründe seien „Ausbrüche in Schlachthöfen und anderen Betrieben, bei Familienfeiern und mittlerweile auch vermehrt bei Urlaubsrückkehrern“, teilt das NRW-Gesundheitsministerium auf WDR-Anfrage mit. Das Ministerium hat eine erhöhte Sieben-Tage-Inzidenz erkannt. Der Wert zeigt, wie viele Menschen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen neu erkrankt sind. Steigt der auf mehr als 50 an, drohen neue Einschränkungen.

Den höchsten Wert verzeichnen derzeit Ruhrgebietsstädte wie Herne (21,7) und Bottrop (21,3). Auch in Duisburg (18,9) gehen die Zahlen hoch, zudem in Solingen (20,7) und im Kreis Mettmann (16,9). Ein Wert, der allerdings gegen die zweite Welle spricht, ist die Verdopplungszeit. Mitte März verdoppelten sich die Infektionszahlen in NRW etwa alle drei Tage. Ende April lag der Wert bei 88 Tagen, am 26. Juli bei 166 Tagen. Unklar ist, was passiert, wenn Urlauber aus Risikogebieten zurückkommen. Und was, wenn es wieder kälter wird und sich die Menschen mehr in geschlossenen Räumen aufhalten, wo das Infektionsrisiko deutlich höher ist.

Was bedeutet überhaupt zweite Welle? Wo kommt der Begriff her?

Der Begriff beschreibt einen erneuten wie rasanten Anstieg der Infektionszahlen während einer vorher abflachenden Pandemie. Ursprünglich stammt er aus der Zeit der Spanischen Grippe von vor knapp 100 Jahren. Die kannte sogar drei Wellen: Im Frühjahr 1918 brach sie aus, im Herbst desselben Jahres sowie im Frühjahr 1919 kam sie wieder – die zweite und die dritte Welle forderten deutlich mehr Todesopfer als die erste. Eine allgemeine Definition, wann die zweite Welle beginnt und ab wann man von ihr sprechen kann, gibt es nicht, allerdings ist der Unterschied zur ersten Welle klar: Bei der kommt das Virus von außen in ein Gebiet, bei der zweiten Welle verteilt es sich innerhalb der Bevölkerung. Zudem bricht die zweite Welle nicht lokal aus, sondern an mehreren Orten gleichzeitig.

Was sagen Wissenschaft und Politik?

Das Robert-Koch-Institut warnt auf seiner Internetseite explizit vor der zweiten Welle: "Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hat noch immer keinerlei Immunschutz gegen Sars-CoV-2. Es muss damit gerechnet werden, dass die Fallzahlen wieder ansteigen können und es zu einer zweiten Covid-19-Welle kommen kann." Wann und wie stark das passiert, ließe sich zwar nicht vorhersagen, aber sollten die Infektionsschutzmaßnahmen nicht eingehalten werden, könne es „zu einer unter Umständen sehr starken zweiten Welle kommen“. Ob die jüngste Zunahme der Fälle dafür spricht, dass die bereits laufe gibt, könne man aber nicht wissen, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler diese Woche.

Karl Lauterbach sieht das anders. Der Gesundheitspolitiker der SPD sagte dem "Spiegel": "Jetzt befinden wir uns am Anfang der zweiten Welle." Er fordert einen "Strategiewechsel bei der Pandemiebekämpfung". Statt einzelne Infizierten ausfindig machen zu wollen, "sollten sich die Ämter allein auf die sogenannten Superspreader konzentrieren, also die wenigen hochansteckenden Infizierten, die bei Gruppentreffen oft Dutzende anstecken. Sie allein sind der treibende Faktor der Pandemie." Der Bonner Virologe Hendrik Streeck glaubt indes nicht an die Theorie der zweiten Welle, gegenüber der „FAZ“ sprach er von einer kontinuierlichen Welle, „die immer wieder hoch- und runtergeht“.

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