Die zunehmende Zahl von Corona-Neuinfektionen ist laut Robert-Koch-Institut (RKI) auf die Nachlässigkeit bei der Einhaltung der Verhaltensregeln zurückzuführen. RKI-Chef Lothar Wieler sagte am Dienstag (28.07.2020) in Berlin, die neueste Entwicklung bereite "große Sorge". Ob es sich um den Beginn einer möglichen zweiten Welle handale, könne man nicht wissen, aber es könne sein. Auch WDR-Gesundheitsexperte Doc Esser sagt: "Ob eine zweite Welle kommt oder nicht, kann keiner wirklich sagen." Allerdings sollten wir alle davon ausgehen, so Essers Rat.
Leichter Anstieg - vor allem im Ruhrgebiet
Laut RKI stecken sich deutschlandweit wieder mehr Menschen an, zu Übertragungen komme es "wirklich überall". Auch das NRW-Gesundheitsministerium beobachtet in den vergangenen drei Wochen wieder einen leichten Anstieg der Neuinfektionen. Wie ein Ministeriumssprecher bereits am Montag dem WDR mitteilte, ist im Bundesvergleich vor allem die sogenannte 7-Tage-Inzidenz in NRW sichtbar erhöht. Das ist der Wert, der nicht über 50 steigen darf, da ansonsten erneute Beschränkungen für die Region drohen. Der Wert zeigt, wieviele Menschen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen neu erkrankt sind. Schwere Verläufe oder gemeldete Todesfälle seien aber bisher konstant, so der Ministeriumssprecher.
"Gleichzeitig stellen wir bei der Lokalisierung der Neuinfektionen aber eine Verschiebung des Infektionsgeschehens auf das Ruhrgebiet fest", heißt es aus dem Ministerium weiter. Besonders betroffen seien hier Duisburg, Solingen, Bochum, Oberhausen, Bottrop, Hagen und der Kreis Mettmann. So ist zum Beispiel auch das Bochumer Test-Drive-In wieder eröffnet, weil die Nachfrage nach Corona-Tests wieder ansteigt. Der Gesundheitsdezernent der Stadt Wuppertal verzichtet sogar auf seinen Urlaub, weil die Corona-Zahlen ansteigen.
Verdoppelungswert zeugt nicht von zweiter Welle
Eine stark ansteigende Welle von Neuinfektionen wie noch im März zeichnet sich in NRW aktuell jedoch nicht ab. Ein wichtiger Wert zum Ausbreitungstrend des Virus ist die Verdopplungszeit bestätigter Infektionen. Diese Zahl wird vom Robert-Koch-Institut sehr engmaschig beobachtet.
Mitte März verdoppelten sich die Infektionszahlen in NRW etwa alle drei Tage. Ende April lag der Verdopplungswert nur noch bei 88 Tagen. Die Werte für Juli schwanken relativ stark, anfangs lag der Verdopplungswert bei 178 Tagen, Mitte des Monats bei 240 Tagen und am 26. Juli bei 166 Tagen, wobei der Trend insgesamt eher eine Verlangsamung der Neuinfektionen nahelegt.
Risiko eines "Superspreaders"
Dennoch sind die Experten alarmiert. Aktuell gebe es viele kleine Hotspots, so Doc Esser. Dabei gebe es immer das Risiko eines sogenannten Superspreaders, der 500 bis 1.000 weitere Menschen anstecken könnte. Forscher vermuten, dass so ein "Superspreader" zum Beispiel beim Corona-Ausbruch der Firma Tönnies im Kreis Gütersloh für viele Infektionen verantwortlich war.
Aktuell gebe es dort keine zweite Welle, bestätigte der Kreis am Montag. Nach der Wiederaufnahme des Schlachtbetriebs seien insgesamt nur sechs neue Infektionen bekannt geworden.
Weitere Hotspots könnten private Feiern sein, so hatten sich beispielsweise bei einer Verlobungsfeier in Bielefeld 26 von 30 Gästen angesteckt. "Das Hauptproblem, dass ich vor allem sehe, ist, dass viele momentan davon ausgehen, dass das Virus weg ist", befürchtet Doc Esser. Es scheine keine Rolle mehr zu spielen. "Und das ist brandgefährlich."
Erste Welle von Reiserückkehrern in NRW
Das Land NRW steht nun zunächst vor einer anderen Welle: der bundesweit ersten Welle von Reiserückkehrern, da die Sommerferien hier früh begonnen haben. An den NRW-Flughäfen seien in der Urlaubszeit bis zu 15.000 Rückkehrer pro Woche zu erwarten, sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Montag am Düsseldorfer Flughafen. Er hatte sich bereits vor der Entscheidung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für verpflichtende Corona-Tests für Rückkehrer aus Risikogebieten ausgesprochen. Die Testpflicht gilt laut Spahn ab kommender Woche.
Auch WDR-Gesundheitsexperte Doc Esser begrüßt diese Pflicht, allerdings weist er daraufhin, dass diese Tests nicht immer 100-prozentig funktionierten. Daher sollten aller Rückkehrer extrem darauf achten, 14 Tage lang die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Auch Minister Laumann betonte, dass das Testen keine absolute Sicherheit garantiere. Es helfe aber, "dass wir die zweite Welle so niedrig halten wie es geht."