Hendrik Wüst  und Mona Neubaur stehen im Garten

Das hat Schwarz-Grün in einem Jahr geschafft - und das nicht

Stand: 28.06.2023, 15:23 Uhr

Mehr Klimaschutz, mehr Lehrer, mehr Sicherheit: CDU und Grüne haben sich viel vorgenommen für NRW, als sie vor einem Jahr eine Koalition eingegangen sind. Eine Zwischenbilanz.

Von Christian WolfChristian Wolf

Ein Jahr Schwarz-Grün in NRW: War das was?

WDR RheinBlick 30.06.2023 29:11 Min. Verfügbar bis 28.06.2029 WDR Online


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Vor genau einem Jahr wurde der Koalitionsvertrag von CDU und Grünen für NRW unterschrieben. Seitdem regiert zum ersten Mal ein schwarz-grünes Bündnis im bevölkerungsreichsten Bundesland. Was wurde seitdem auf den Weg gebracht? Und wo hakt es weiterhin? Einblicke in einige wichtige Bereiche:

Schulpannen, Lehrermangel und Besoldung

Der Unterricht fällt aus, steht auf einer Schultafel geschrieben

Vor allem die Schulpolitik hat zuletzt mal wieder für Schlagzeilen gesorgt. Da war die Download-Panne beim Zentralabitur, die zur Verschiebung mehrerer Klausuren führte. Kurz danach tauchte auch noch ein gravierendes Datenleck in der IT auf. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) steht seitdem unter Druck.

Hinzu kommt das ungelöste Problem des Lehrermangels. Schwarz-Grün hat angekündigt, bis 2027 zusätzlich 10.000 Lehrerkräfte an die Schulen zu bringen. Anfang Juni verkündete Feller zwar, dass die Zahl der Lehrkräfte im Vergleich zum Juni 2022 um 3.700 gestiegen sei. Doch zeitgleich fehlten immer noch rund 6.700 Lehrkräfte. Ende 2022 stellte die Ministerin ein Konzept vor, das eine leichtere Einstellung von Seiteneinsteigern und die Ausweitung von Studienplätzen vorsieht. Zudem werden aber auch die Daumenschrauben angezogen - etwa durch Abordnungen an andere Schulen oder Landesteile von NRW sowie eingeschränkte Teilzeitoptionen.

Doch die Schulministerin kann auch Erfolge verbuchen. So wurde die seit Jahren geforderte Angleichung der Lehrer-Einstiegsgehälter eingeleitet. Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen und der Unter- und Mittelstufen sollen bis 2026 in die höhere Besoldungsgruppe A13 überführt werden. Damit wird die Verdienstlücke geschlossen, die etwa zwischen Grundschulen und Gymnasien klafft.

Innere Sicherheit

Ein Polizist auf dem Düsseldorfer Burgplatz.

Als Aktivposten der Landesregierung gilt nach wie vor Innenminister Herbert Reul (CDU). Gerne präsentiert er sich als konsequenter Durchgreifer gegen alle möglichen Kriminellen und Staatsfeinde. Doch im Februar musste Reul einen ungewöhnlich deutlichen Anstieg der Kriminalität in NRW einräumen.

Und trotz der propagierten "Nadelstiche" gegen kriminelle Clans wird angesichts der jüngsten Massenschlägereien im Ruhrgebiet sichtbar, wie stark der Staat durch arabischstämmige Großfamilien herausgefordert wird. Bei Angriffen auf Rettungskräfte stellt sich Reul weiterhin demonstrativ hinter seine Leute.

Das große Ziel des Innenministers lautet, dass jedes Jahr 3.000 neue Kommissaranwärter mit der Polizeiausbildung starten, 400 mehr als früher. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Doch die Marke ist offenbar ambitioniert gesetzt: Im vergangenen Jahr kam man nur auf knapp 2.700 Anwärter. Und das, obwohl die Voraussetzungen für eine Bewerbung bereits aufgeweicht worden waren. Für dieses Jahr wurde die Bewerbungsfrist kurzerhand verlängert.

Haushalt

Symbolbild: Zwei Stapel Euro-Münzen

In der Finanzpolitik beansprucht die CDU gerne besondere Kompetenzen. Umso schmerzlicher muss da das Chaos rund um den Landeshaushalt für das Jahr 2023 empfunden worden sein. Denn Finanzminister Markus Optendrenk musste bis zur Verabschiedung mehrfach nacharbeiten und einige finanzpolitische Pirouetten drehen.

So wurde erst auf Druck des Landesrechnungshofes der Plan verworfen, Mittel aus dem Corona-Rettungsschirm für Hilfen in der Energiepreiskrise zu nutzen.

Weil aber neue Schulden im normalen Haushalt unbedingt vermieden werden mussten, wurde am Ende ein kreditfinanziertes Sondervermögen als Krisen-Rettungsschirm in Höhe von bis zu fünf Milliarden Euro beschlossen. Das gehört nicht zum regulären Haushalt. SPD und Grüne halten das für verfassungswidrig und klagen.

Altschulden

Säcke mit der Aufschrift "Schulden"

Seit Jahren ringt die Landespolitik darum, wie die Kommunen in NRW von ihrem hohen Schuldenberg runterkommen können. Im Koalitionsvertrag hat auch Schwarz-Grün dieses Projekt verankert. Erst kürzlich kam der erste Aufschlag, um etwas gegen die fast 20 Milliarden Euro Altschulden zu tun. So will das Land ab Mitte 2024 fast zehn Milliarden Euro davon übernehmen - allerdings soll das dann abbezahlt werden über den Anteil der Kommunen an der Grunderwerbsteuer.

Ein anderer Teil soll vom Bund übernommen werden. Doch von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) kassierte Schwarz-Grün umgehend eine Abfuhr. Es ist also noch offen, was am Ende von den Plänen übrig bleibt.

Kohleausstieg

Braunkohle Tagebau Garzweiler, Schaufelradbagger, im Hintergrund Windräder

Wie im Koalitionsvertrag angekündigt, wurde der Kohleausstieg in NRW vorgezogen, von 2038 auf 2030. Im vergangenen Oktober stellte Wirtschaftsministerin Mona Neubaur die Pläne zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dem Energiekonzern RWE vor. Der Deal sah vor, dass das Kohle-Aus vorgezogen wird und fünf Dörfer im Rheinischen Revier stehen bleiben - die Siedlung Lützerath aber den Baggern weichen muss.

Die Landesregierung sieht darin einen Beitrag zum Klimaschutz. Umweltverbände und Aktivisten kritisieren hingegen, bis 2030 werde trotzdem noch zu viel Kohle verfeuert. Die Klimaziele würden so nicht erreicht. Für den Strukturwandel im Rheinischen Revier bedeutet der Kohleausstieg, dass jetzt noch mehr Tempo nötig ist.

Räumung von Lützerath

Polizisten rücken in den von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath durch Barrikaden vor.

Ihre erste große Bewährungsprobe hatte die Koalition Anfang des Jahres, als die kleine Ortschaft Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler II geräumt wurde. Denn in der Opposition hatten sich die Grünen noch öffentlichkeitswirksam gegen einen solchen Schritt gestellt. Im Januar rückte dann ein massives Polizeiaufgebot in das besetzte Lützerath ein.

Schnell kam aus der Szene der Klimaschützer der Vorwurf des "Verrats" auf. Zwar versuchte die Parteiführung, die Räumung mit dem vorgezogenen Kohleausstieg zu rechtfertigen. Doch die Enttäuschung war dennoch groß. Nach nur wenigen Tagen war Lützerath geräumt und die Grünen hatten sich innerhalb der Koalition als Pragmatiker bewiesen.

Erneuerbare Energien

Windräder stehen hinter Solarpark.

Vollmundig haben CDU und Grüne angekündigt, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas machen zu wollen. Dafür braucht es genug grünen Strom. Ein Ziel lautet deshalb, bis 2027 mindestens 1.000 zusätzliche Windkraftanlagen zu errichten. Im vergangenen Jahr waren es lediglich 68. Um das Tempo zu erhöhen, wurde kürzlich die Abschaffung der 1.000-Meter-Abstandsregel zwischen Windrädern und Wohnsiedlungen auf den Weg gebracht. Zudem werden für den Bau von Windanlagen mehr Flächen freigegeben.

Ab 2024 soll schrittweise auch eine Solaranlagenpflicht für neue Gebäude eingeführt werden. Ministerin Neubaur legte ein zwei Milliarden Euro schweres Klimaschutzpaket vor, in dem allerdings nicht alle Maßnahmen neu sind. Der Landesverband Erneuerbare Energien NRW zeigt sich inzwischen zufrieden. Doch entscheidend wird am Ende sein, ob das Tempo in der Praxis tatsächlich erhöht wird.

Kitas

Berlin/Reinickendorf: geschlossene Kita, Gruppenraum

In den Kindertageseinrichtungen des Landes mangelt es an Personal. Zudem machen hohe Lebensmittelpreise, Energiekosten und die gestiegenen Löhne vor allem kleinen privaten Kitas zu schaffen. Während die Opposition ein Rettungspaket von mehreren Hundert Millionen Euro fordert, verweist die Landesregierung auf bereits beschlossene Dinge wie zusätzliche 60 Millionen Euro gegen die hohen Energiekosten.

Grundsätzlich wird in Aussicht gestellt, dass die Finanzierung der Kitas weiterentwickelt wird. Gemeint ist damit eine Änderung des Kinderbildungsgesetzes. Die wird aber noch etwas dauern.

Verkehr

Autos und Lastwagen fahren kurz vor einer Sperrung von der Autobahn ab.

In der Verkehrspolitik wurde die marode Rahmede-Talbrücke auf der viel befahrenen "Sauerlandlinie" der A45 zum bundesweiten Symbol für den schlechten Zustand der Infrastruktur. Das "Brücken-Desaster" wird im Landtag in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt. Die SPD zielt dabei vor allem auf Wüst und dessen Rolle als früherer NRW-Verkehrsminister.

Abseits dessen muss Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) die Sanierung zahlreicher Brücken im Land angehen. Streit gibt es immer wieder mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der nicht nur die Sanierung beschleunigen will, sondern auch den Neubau von Autobahnen.

Demokratie

Eine Erstwählerin wirft einen Wahlzettel in eine Wahlurne

In ihrem Koalitionsvertrag haben sich CDU und Grüne einiges vorgenommen. Doch an der Umsetzung hapert es. So ist die Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahre noch nicht auf den Weg gebracht worden. Der Verein "Mehr Demokratie" bezeichnet die schwarz-grüne Politik daher auch als "auf ganzer Linie enttäuschend". Noch keines der zentralen Vorhaben sei wirklich angegangen worden. Dazu gehöre auch die versprochene Erleichterung von Volksbegehren und Volksentscheiden.

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