Schlechte Zeiten für Modellkommunen

Stand: 26.04.2021, 06:00 Uhr

Am Montag sollte die zweite Gruppe der "Modellkommunen" in NRW starten. Professor Timo Ulrichs ist Infektionsepidemiologe und Experte für Pandemiebekämpfung. Er sagt: Modellkommune? Gerne, aber dann richtig!

WDR: Herr Ulrichs, was stört Sie an den bisherigen Projekten? 

Timo Ulrichs: Solche Öffnungs-Modelle funktionieren nur in kleinen Settings, in denen ausreichend Ressourcen vorhanden sind, zum Beispiel in Form von Tests. Das hat man in Tübingen gesehen. Die zweite Bedingung ist, dass das Gebiet nach außen hin abgeschottet werden kann, sodass kein Viruseintrag mehr vorkommt. Das geht aber nur für einige wenige, andere Regionen können das nicht.  

Deswegen sind das eigentlich keine echten "Modelle". Das Wort suggeriert ja, dass es dabei um einen wissenschaftlichen Versuch geht, bei dem die Ergebnisse hinterher auf andere Kommunen oder Regionen übertragbar sind und der auch zu diesem Zweck durchgeführt wird. Das ist aber eigentlich nie der Fall. Stattdessen sehen wir lokale Strohfeuer. Und wenn die vorbei sind, macht man alles wieder dicht, weil es langfristig nicht funktioniert.  

WDR: Wie müssten denn Modelle aussehen, aus denen man etwas für die Pandemie lernt? 

Ulrichs: Wenn ein Modellversuch übertragbar sein soll, muss er von vorneherein ganz anders angelegt werden. Dann müssen die zu untersuchenden Variablen definiert und die übrigen Bedingungen vergleichbar gehalten werden. Man müsste sich zum Beispiel zwei gleich große Städte vornehmen, genau definieren, was sie gleich und was sie unterschiedlich in der Pandemiebekämpfung vor Ort machen, und nach einigen Wochen könnte man das dann auswerten. 

WDR: Was konkret könnte eine Kommune denn tun? 

Ulrichs: Kommunen haben den Vorteil, dass sie Dinge in einem kleinen Maßstab umsetzen können. Sie können kreativer sein und Sachen ohne viel Aufwand einfach mal ausprobieren. Beispiel: Unterricht im Freien. Da könnte man ganz einfach zwei Schulen miteinander vergleichen: In einer Schule findet der Unterricht normal im Klassenzimmer und unter Hygienebedingungen statt, und die andere Schule - als Modell - macht möglichst viel Unterricht draußen. Vorher sollten natürlich die Messparameter festgelegt werden, woran man den Erfolg festmachen will, und dann wird es in dieser Versuchsanordnung ausprobiert. 

WDR: Wann wäre denn ein guter Zeitpunkt, um mit solchen Modellen zu starten?  

Ulrichs: Erst, wenn die Zahlen wieder deutlich niedriger sind. Wenn man das mitten in einer sich aufbauenden dritten Welle versucht, geht es schief. In einer so angespannten Lage, wie wir sie zurzeit haben, sollte man nicht mal über Lockerungen nachdenken. Aber man sollte durchaus darüber nachdenken, was man in der Phase nach dieser Welle sinnvoll tun kann. 

Das Gespräch führte Katja Nellissen.

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