Frust und Aggression: Wie wir besser durch die Corona-Zeit kommen

Stand: 23.01.2021, 18:46 Uhr

Die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland empfindet den Lockdown als belastend. Die Situation zerrt zunehmend an den Nerven. Was hilft uns, um mit Frust und Belastung umzugehen?

Die Lunte ist kurz: Autofahrer drängeln mit Lichthupe, bei freundlichen Hinweisen auf Corona-Abstände pampt das Gegenüber zurück - kleinste Anlässe sorgen für Auseinandersetzungen. Der Frust muss offenbar raus. Die Stimmung scheint aggressiver, die Menschen reagieren dünnhäutiger.

Laut aktuellem ARD-Deutschland-Trend halten 49 Prozent der Befragten Corona-Maßnahmen für "persönlich belastend" beziehungsweise für "stark belastend". Das ist etwa die Hälfte aller Befragten - und das ist viel, auch wenn man auf der anderen Seite sagen muss: Der anderen Hälfte scheint es einigermaßen gut zu gehen mit den Kontaktbeschränkungen.

Ist es falsch, sich auf den Sommer zu freuen?

Wir hören zurzeit sehr unterschiedliche und zum Teil auch widersprüchliche Botschaften. Die Infektionszahlen gehen leicht zurück, aber die Zahl der Corona-Toten ist nach wie vor hoch. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach spricht davon, dass es ein super Sommer werden könnte. Der Virologe Christian Drosten hingegen sagt, man solle sich nicht darauf einstellen, dass der Sommer automatisch besser wird.

Dazwischen muss man sich mental irgendwie einpendeln. Ist es falsch, sich auf den Sommer zu freuen? Würden wir besser fahren, wenn wir alle den Skeptiker in uns rauslassen? "Das ist eine sehr individuelle Entscheidung", sagte der Diplom-Psychologe Rolf Schmiel am Samstag im WDR5-"Morgenecho".

Politik soll "Hoffnungsstern" aufbauen

Manche Menschen könnten sich auf etwas freuen und - wenn es nicht klappt - einfach mit den Schultern zucken. Anderen, so Psychologe Schmiel, falle das hingegen schwer. So ein Mensch solle besser auf die Vorfreude verzichten. "Denn wenn es dann nicht klappt, ist er wirklich am Boden zerstört." Das könne zu psychischen Schäden führen.

Es sei wichtig, eine individuelle Strategie zu wählen, um emotional durch die Zeit durchzukommen. Denn psychisch sei es gerade schwer auszuhalten, dass es die unterschiedlichsten Stimmen gibt. Schmiel appellierte an die Politik, einen "Hoffnungsstern" aufzubauen.

"Wenn er weit weg ist, ist das auch in Ordnung", so Schmiel. Wenn die Lage so unklar sei, dass man nicht sagen könne, ob der Sommer super werde oder erst der Herbst, dann solle man eine Besserung erst für das Frühjahr 2022 ankündigen. "Wir brauchen etwas, worauf wir uns freuen können, was aber sicher ist."

Das Warten verlernt

Weshalb fällt es uns so schwer, Geduld zu haben? "Wir sind eine Convenient-Gesellschaft, eine Gesellschaft der Bequemlichkeit", sagte Psychologe Schmiel. "Wenn wir was haben wollen, klicken wir auf einen Knopf und innerhalb eines Tages wird es geliefert."

Die Gesellschaft habe das Warten verlernt. "Die Pandemie ist ein harter Lehrer für uns, der uns wieder zu Werten zurückführt, die wir als Gesellschaft brauchen - nämlich Geduld, Wertschätzung und wieder mal warten können, bis etwas gut wird."

Keine Belohnung in Aussicht stellen

Es sei wichtig, Lichtblicke zu haben, sagte auch Professor Martin Booms, Direktor der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur (ASK) in Bonn, am Samstag dem WDR. "Natürlich zerrt die Situation an den Nerven der Menschen."

Es bringe aber nichts, wenn Politik - in guter Absicht - "versucht, eine Belohnung in Aussicht zu stellen: Dass wir alle bald ins Licht kommen - und jetzt nur noch einmal durchhalten müssen."​

Nicht mehr wie vorher

"Das Bild des Lichtes am Ende des Tunnels ist schon falsch", sagte der Philosoph Booms. "Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass wir nicht wieder in eine Zeit kommen werden, wie sie vor dem Virus war."​

Das werde nicht mehr passieren. "Das muss aber auch nicht problematisch sein", so Professor Booms. "Wir werden nicht wie früher leben können. Aber das kann dennoch ein gutes Leben sein." Man müsse nun umdenken. "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben."

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