Lernen auf Distanz: das vorhersehbare Chaos

Stand: 11.01.2021, 15:25 Uhr

Der erste Schultag nach den Ferien hat zu mächtig Frust bei Schülern, Lehrern und Eltern geführt: Nicht erreichbare Lernplattformen, versagende Technik. Ein Erfahrungsbericht.

Von Ingo Neumayer

"Papaaaaa, kommst du mal? Ich will die Lernpläne ausdrucken, aber ich weiß nicht wie." Holly ist zehn und braucht Hilfe. Heute ist der erste Schultag nach den Weihnachtsferien, und für die Schülerinnen und Schüler heißt das: Distanzlernen. Das Kinderzimmer wird zum Klassenzimmer, statt zur Tafel schaut man in den Bildschirm.

In NRW gibt es circa 2,5 Millionen Schüler. Zwei davon, Holly und ihr drei Jahre älterer Bruder Rio, sitzen bei mir zu Hause, immer nur einen Ruf entfernt. Und der ertönt oft. Mal ist die Lernplattform "Moodle" nicht erreichbar, auf der wichtige Arbeitsblätter und Anleitungen hinterlegt sind. Mal ist der Link für das Zoom-Meeting verloren gegangen.

Technische Probleme, überlastete Server

Ich soll einen Artikel darüber schreiben, wie die Schüler in NRW mit technischen Problemen kämpfen. Das klappt aber nur begrenzt, weil meine Kinder - genau! - mit technischen Problemen kämpfen. Mitten in der virtuellen Redaktionskonferenz plingt mein Handy. Rio fordert mehr Bildschirmzeit für die "Houseparty"-App an. Dort will er mit seinem Freund Matheaufgaben machen. Abgelenkt und gestresst gebe ich aus Versehen die falsche PIN ein. Anfrage abgelehnt. Zehn Sekunden später pingt es wieder.

Kurz danach klopft Holly bei mir im Arbeitszimmer an. Sie will kurz zur Schule gehen und braucht noch das Formular, mit dem sie sich dort ein iPad ausleihen kann. Aber wo finde ich das nochmal? In einer der vielen, vielen Mails, die in den letzten Tagen hier ankamen, vom Schulleiter, von den Klassenlehrerinnen, von den Pflegschaftsvorsitzenden? Nein, auf der Homepage der Schule. Die ist gerade zum Glück erreichbar. Immerhin. "Vergiss deine Maske nicht!", rufe ich Holly hinterher. Und merke dann, dass ich die dringende Mail mit der Interviewanfrage an den Bildungsexperten zwar verfasst, aber nicht abgeschickt habe.

Störungen bei Lernplattform "Moodle"

So wie uns ging es heute Morgen vielen Kindern und ihren Eltern. Das Portal "Iserv"? Nicht erreichbar. "Padlet"? Hat offenbar überlastete Server. Der Chat auf der Schul-App "KIKS", wo man zur Not die Lehrer anschreiben kann? Bricht immer wieder zusammen. Und nicht nur wir fluchen über "Moodle". Laut einer Störungskarte des Online-Magazin "Netzwelt" hat die weitverbreitete Lernplattform in ganz Deutschland Probleme. Am schlimmsten hat es demnach Baden-Württemberg und den Großraum Rhein-Ruhr erwischt. "Moodle" ist sogar in den deutschlandweiten Twitter-Trends, genauso wie "Lehrer" und "Homeschooling".

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Schulministerin ist nichts von Problemen bekannt

In den sozialen Medien köchelt eine Mischung aus Ärger, Zynismus und Galgenhumor. Und eine gewisse "Hab ich's doch gewusst!"-Attitüde. Denn dass es überlastete Server und Probleme mit der Technik geben würde, überrascht die wenigsten. Nicht nach knapp zehn Monaten Erfahrung mit dem Lernen in der Pandemie. Am späten Vormittag äußert sich dann auch noch NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Ihr sei nichts davon bekannt, dass in NRW größere Probleme mit "Moodle" aufgetreten seien. Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass sich die Ministerin hinterher korrigieren muss. Vergangene Woche sprach sie sich noch gegen eine Verlängerung der Schulschließungen über den Januar hinaus aus. Heute sagte sie dagegen, sie schließe "nichts aus".

Holly ist inzwischen zurück mit dem iPad und berichtet von langen Schlangen vor dem Schulsekretariat. Und Rios Klasse hat eines der "Moodle"-Probleme inzwischen lösen können: "Man darf nicht über den Browser gehen, sondern muss die App nehmen". Der Schultag ist zu Ende, mein Arbeitstag auch. Morgen früh geht es in die nächste Runde. Mal schauen, wie oft es dann wieder heißt: "Papaaaa! Kommst du mal?"

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