WDR: Angela Merkel und die Ministerpräsidenten haben rechtlich verbindliche Corona-Beschlüsse auch zur Schulpolitik auf den 25. November verschoben. Torpediert das das Vertrauen der Landeschüler*innenvertretung in die Politik?
Moritz Bayerl: Das Vertrauen torpediert es nicht. Das größere Problem ist, dass man diese Ungewissheit hat. Viele Schülerinnen und Schüler sind total genervt von der aktuellen Situation und haben tatsächlich Angst, mit so vielen Menschen in die Schule gehen zu müssen. Immer nur von Monat zu Monat zu entscheiden, ist ja auch totaler Quatsch. Das sieht mittlerweile jeder so, nur nicht die Politik. Je später Entscheidungen getroffen werden, umso schwieriger wird es für die Schulen, diese Entscheidungen umzusetzen. Es bleibt unglaublich viel an den Schulleitungen hängen und die sind meistens sehr überfordert damit.
WDR: Würden Sie so weit gehen zu sagen, die Politik riskiert mit dem einwöchigen Aufschub von neuen Beschlüssen die Gesundheit der Schüler und Schülerinnen?
Bayerl: Die Gefährdung ist aktuell schon real für alle, die an Schulen arbeiten. Wir sehen ja, dass Schulen entgegen dem, was unsere Bildungsministerin immer gesagt hat, keine sicheren Orte sind. Auch dort gibt es Ansteckungen. Jeder Tag, an dem wir nicht möglichst viele Maßnahmen durchsetzen, ist letztlich eine Gefährdung.
WDR: Hat die Politik im Sommer versäumt, Corona-Schulkonzepte für den Herbst und Winter zu entwickeln?
Bayerl: Wir hatten das Gefühl, dass es in der Sommerpause so ein Aufatmen gab, auch in den Ministerien. Und entsprechend wurden Entscheidungen versäumt. Das größere Problem ist aber aktuell, dass die spontanen Entscheidungen nicht kommen.
WDR: Die NRW-Landesregierung hält nichts von getrenntem Unterricht, also halb Präsenzunterricht und halb online. Hat das damit zu tun, dass die digitale Ausrüstung der Schulen nur schleppend vorangegangen ist?
Bayerl: Ja, mit Sicherheit. Wenn eine Schule nicht digital ist, kann sie keinen guten Distanzunterricht machen. Andererseits muss man auch sagen, dass selbst an Schulen, an denen die digitale Ausrüstung vorhanden ist, Distanzunterricht nicht gut funktioniert hat. Gerade bei Schülerinnen und Schülern, die zu 95 Prozent noch zu Hause leben, die sich mit Bruder oder Schwester ein Zimmer teilen und vielleicht nur ein Gerät haben, da wird so ein digitaler Unterricht schnell zum richtig großen Albtraum.
WDR: Gibt es Ihrer Meinung nach noch andere Gründe?
Bayerl: Unsere Vermutung ist, dass man an Abschlüssen und Noten festhalten möchte. Wir sind eben ein sehr leistungsorientiertes Land. Wenn ein Abitur dadurch definiert wird, dass man unbedingt in jedem Fach immer schriftliche Klausuren schreiben muss, wird das aber sehr schwierig, das unter Corona-Bedingungen durchzusetzen.
WDR: Was halten Sie von dem Vorschlag, Unterricht an außerschulischen Orten wie Hotels oder Gaststätten stattfinden zu lassen?
Bayerl: Die Idee halten wir grundsätzlich für gut. Wir sehen da aber eher die Chance, Stufen, die kurz vor ihrem Abschluss stehen, dorthin zu verlagern. Um durch größere Räume zu erreichen, dass man den Sicherheitsabstand im Unterricht einhalten kann und man diese Gruppen nicht teilen muss, damit sie Vollzeit beschult werden können.
WDR: Welches Schulkonzept hält die LSV angesichts der aktuellen Lage für sinnvoll?
Bayerl: Wir sind für eine IGGS - eine 'Inklusive Ganztagsgesamtschule', in der die Lerngruppen deutlich kleiner sind, mit maximal 15 Schülerinnen oder Schülern pro Lehrkraft. Die LSV NRW ist auch für die Abschaffung der Noten und für die Erstellung individueller Erläuterungen zu den Stärken und Schwächen der Schüler und Schülerinnen, inklusive Förderempfehlungen. Aber die Politik möchte nicht eine solche Beschulung ohne Noten.
Das Interview führte Frank Menke.