Unterwegs in der Hasseldelle – Wie die Impfrealität in einem benachteiligten Wohnviertel aussieht

Stand: 27.05.2021, 16:15 Uhr

Viele Corona-Infektionen erfolgen in benachteiligten Vierteln. Wie ist dort die Impfbereitschaft – und wie die Solidarität untereinander? Unser Reporter hat sich in der Hasseldelle in Solingen umgehört.

Von Oliver Scheel

Hochhaus an Hochhaus. So sieht es in der Hasseldelle in Solingen aus. Eine Siedlung, in der viele leben, die als benachteiligt gelten. Was denken die Menschen dort in diesen Corona-Zeiten übers Impfen? Ein Besuch vor Ort.

Mein erster Weg führt mich in eine Gemeinschaftspraxis, die als Anlaufstation für Menschen mit Migrationshintergrund einen Namen in dem Viertel hat. Die Arzthelferinnen sprechen türkisch und russisch, das nimmt vielen Menschen die Berührungsängste.

Die Praxis freut sich über großen Zulauf, viele wollen geimpft werden. Die Internistin Bernhild Terhorst spricht sogar von einem Impf-Egoismus. "Für alle gilt nur: Ich", sagt sie. "Es gibt wenige Leute, die sagen: 'Macht mal, ich habe Zeit'. Und viele wollen die zweite Impfung dann schon vier Wochen nach der ersten. Das werden wir natürlich nicht machen," so die Ärztin.

"Das ging alles viel zu schnell mit dem Impfstoff"

Solidarität unter den Patienten kann sie nicht ausmachen. "Es gibt unheimlich viele Leute, die Astra ablehnen. Auch die älteren." Terhorst muss da viel Überzeugungsarbeit leisten. So wie aktuell viele Ärztinnen und Ärzte – ganz gleich, wo sie leben und arbeiten.

Ein anderes Bild ergibt sich bei meinem Rundgang durch die Hasseldelle. Dabei treffe ich viele Impfskeptiker. "Das ging alles viel zu schnell. Ich habe Probleme mit Krampfadern und Angst vor Thrombose. Ich lasse mich nicht impfen", sagt eine ältere Dame, die zunächst weiter eilt, dann aber doch stehen bleibt: "Mein Mann ist Krankenpfleger, der lässt sich auch nicht impfen. Ich habe Angst davor". Auch ihre Kinder wollen sich nicht impfen lassen, der Familie geht die Erforschung über die Impfstoffe einfach viel zu schnell.

"Ist für mich wie eine normale Grippe"

Ein junger Mann, der an seinem Auto schraubt, verharmlost das Virus. "Ich hatte schon Corona, für mich ist das wie eine normale Grippe. Auch da sterben Leute dran, das sagt aber niemand. Ich lasse mich nicht impfen", sagt er.

Die Debatte um Impfgerechtigkeit ist für Murat Yildiz schon interessanter. Er ist von der Krankheit genesen und verfolgt die Diskussion. Für ihn kommt eine Impfung wegen der überstandenen Krankheit "erstmal nicht" infrage. Ob er sich später noch impfen lassen wird, weiß er noch nicht. "Ich beobachte das. Bei uns an der Arbeit wurde Astrazeneca angeboten und viele haben sich dem verweigert. Das ist ja nicht das Beste", sagt er. Yildiz fände es aber durchaus angemessen, wenn jetzt die jungen Menschen, die impfbereit sind, die Impfung auch wirklich erhalten könnten.

Einer der wenigen Impfwilligen, den ich auf der Straße treffe, ist Francis Agu. Auch er hat eine Covid-19-Erkrankung hinter sich. Agu hat sich informiert und weiß, dass er nun erst in sechs Monaten geimpft werden kann. Aber wo, weiß er nicht. Ich frage ihn, ob es in seiner Firma einen Betriebsarzt gibt. Das weiß Agu nicht, aber er möchte mit seinem Hausarzt in Kontakt treten. "Das letzte Jahr war schlimm", sagt er. Das möchte er nicht noch einmal so erleben.

Impfwillige auf der einen, Impfskeptiker auf der anderen Seite: So wie in der Hasseldelle in Solingen sieht es in zig Wohnvierteln in NRW aus. Vielerorts gibt es in Stadtteilen, die als sozial benachteiligt gelten, Sonder-Impfaktionen. So etwa in Köln oder in Ruhrgebietsstädten wie Mülheim, Duisburg oder Herne. Der Zulauf dort ist vielfach hoch. Nicht zuletzt deswegen sinken letztendlich auch die Corona-Zahlen.

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