Corona-Zahlen: Inzidenz steigt - Aussagekraft sinkt

Stand: 12.07.2021, 15:42 Uhr

Gesundheitsminister Spahn will künftig stärker auf die Corona-Patienten in den Krankenhäusern achten. Grund: Die Sieben-Tage-Inzidenz allein sagt nicht genug aus. Was bedeutet das?

Seit Beginn der Pandemie blickt die Republik gebannt auf die Sieben-Tage-Inzidenz. Wie stark steigt sie, wie stark fällt sie? Düsseldorf beispielsweise weist als erste Stadt in NRW derzeit wieder eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 20 aus. Bundesweit liegt sie bei 6,4 - Tendenz steigend.

RKI will vom Inzidenz-Wert abrücken

Vom Inzidenzwert hängt maßgeblich ab, welche Corona-Regeln wo gelten. Sie gab auch den Ausschlag dafür, die Bundesnotbremse zu verhängen, die ab einem Sieben-Tages-Wert von 100 galt. Aber die Impfungen sorgen für eine Neubewertung - trotz derzeit steigender Zahlen.

Denn dadurch, dass so viele und besonders ältere Menschen geimpft wurden, werden vermutlich weniger Infizierte ins Krankenhaus kommen oder gar sterben. Davon geht zumindest das Gesundheitsministerium aus, das damit auf eine entsprechende "Bild"-Meldung reagierte.

Die Sieben-Tages-Inzidenz soll als Richtwert nicht ganz abgeschafft werden. Die Bundesregierung und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sind sich einig, dass sie eine wichtige Rolle als Frühindikator spielt, weil sie zum Beispiel zeigt, wo Hotspots entstehen.

Die Bundesregierung will aber aus der steigenden Impfquote Konsequenzen ziehen. Zum einen soll der Wert von 100 nicht mehr automatisch eine Bundesnotbremse mit allen Folgen nach sich ziehen. Zum anderen will das Robert-Koch-Institut (RKI) in Zukunft auch auf die Hospitalisierungsrate achten - und damit verhindern, dass möglicherweise das Gesundheitssystem überfordert wird.

Todeszahlen und Inzidenz driften auseinander

Wenn man in die Statistiken schaut, scheint der Zusammenhang zwischen Inzidenz, Krankenhaus- und Todeszahlen tatsächlich nicht mehr so eng. So hat sich seit der dritten Welle in NRW wie auch in ganz Deutschland zum Beispiel die Zahl der Todesfälle nicht mehr in demselben Maße entwickelt wie die Sieben-Tage-Inzidenz.

Auch die Korrelation zwischen Inzidenz und Krankenhaus-Zahlen war in der dritten Welle in NRW weniger deutlich als in der ersten und zweiten Welle.

Notfallmediziner befürchten Anstieg der Erkrankten

Uwe Janssens, Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, glaubt aber, dass auch künftig bei steigender Inzidenz die Zahl der schwer Erkrankten wieder steigen werde. "Das ist eine ganz klare Verbindung", sagte er am Freitag in der "Aktuellen Stunde" des WDR. Das gelte sowohl für niedrige Inzidenzen als auch für hohe.

Mehr impfen, mehr melden

Entwarnung will Gesundheitsminister Spahn trotz der Neubewertung nicht geben: Am Sonntag wurden so wenige Menschen in Deutschland geimpft wie zuletzt im Februar. "Anders als im Februar ist nun aber genug Impfstoff da", schreibt er auf Twitter. "Bitte impfen lassen!"

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Spahn will auch dafür sorgen, dass die Gesundheitsämter mehr Daten aus den Krankenhäusern bekommen: Alle Corona-Patienten sollen gemeldet werden, inklusive Alter und Impfstatus. Gesundheitsexperten beklagen schon seit Monaten, dass es an Daten für die Bewertung der Pandemielage fehlt. Allerdings hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft der Idee, das per neuer Verordnung vorzuschreiben, eine Absage erteilt: Die meisten Informationen würden den Behörden schon gemeldet.

In NRW bleibt es noch bei der Sieben-Tage-Inzidenz

In NRW gilt derzeit noch die Sieben-Tage-Inzidenz als Richtwert für die Corona-Maßnahmen. Zwar heißt es auch in der aktuellen Corona-Schutzverordnung für NRW, dass zur Corona-Bewertung viele Faktoren einbezogen werden. Praktisch alle Verschärfungen und Lockerungen der Corona-Regeln hängen aber nach wie vor vom Inzidenzwert ab.

Großbritannien will alle Corona-Regeln aufheben

Die britische Regierung dagegen hat sich fast komplett von der Sieben-Tage-Inzidenz verabschiedet. Heute will sie offiziell beschließen, die Corona-Regeln in England am 19. Juli komplett aufzuheben. In Großbritannien liegt der Inzidenzwert derzeit über 300.

Kommentare zum Thema

15 Kommentare

  • 15 Analytika 12.07.2021, 14:47 Uhr

    Entscheidend muss zukünftig die Relevanz einer Infektion sein. Also nicht allein die Inzidenz, sondern der Anteil schwerer Verläufe. Zumindest theoretisch müssen diese doch aufgrund der Impfungen zurückgehen. Und Menschen, die Gemeinschaftseinrichtungen besuchen oder in Ihnen arbeiten, müssen sich, soweit nicht objektivierbare Gründe dagegen sprechen, impfen lassen. So wie es für Masern auch gilt.

  • 14 Axel 12.07.2021, 12:16 Uhr

    Mit steigender Impfquote und Immunität ist die 7 Tagesinzidenz keine Grundlage mehr für Beurteilung der Pandemielage. Es wird dadurch nur weiter Angst und Panik verbreitet! Wichtig ist wer wird wirklich krank!

  • 13 Heinz 12.07.2021, 10:20 Uhr

    Wie brauchen eine griffige, nicht manipulierbare Zahl, die das Infektionsgeschehen abbildet, bei allen Schwächen, die ein solches System hat. Die Fixierung auf die Inzidenz-Zahl ist ein solches Werkzeug. Da können sich Entscheidungsträger, die Mist gebaut haben, nicht einfach raus reden, eine Disziplin, in der unsere Politiker wahrlich Meister sind.

  • 12 Frank 12.07.2021, 08:31 Uhr

    Die Berichterstattung muss sich ändern! Bei einer Inzidenz von 6.4 ist die Überschrift "Zahlen steigen um 54%" Ich werde den Eindruck nicht los das bewußt Angst und Panik gemacht werden soll. Leider auch beim WDR!! Leider werden auch beim WDR kaum kritische Berichte zum Thema Corona gesendet. Alles auf Regierungskurs! Arbeite jeden Tag mit Patienten . Wie das Kaninchen vor dem Wolf wird die Inzidenzbörse jeden Morgen studiert. Das Ergebnis ist Angst Hoffnungslosigkeit Depressionen!!

  • 11 Jana 12.07.2021, 08:00 Uhr

    Als Indikator für die Überlastung des Gesundheitssystems ist der Inzidenzwert m.E. nicht überflüssig, sondern muss bei steigender Immunisierung der Bevölkerung und damit verbundenen milden Verläufen neu bewertet werden. Konkret: Erst wesentlich höhere Inzidenzwerte könnten zu einschränkenden Maßnahmen führen. Hier befindet sich Großbritannien gerade im Feldversuch. Voraussetzung: Es kommt aufgrund hoher Infektionszahlen nicht zu - den Impfschutz umgehenden - Mutationen. Dann beginnt das Spiel von vorne.

  • 10 Eckibaer 11.07.2021, 19:57 Uhr

    Die Zahlen auf den Intensivstationen hinken dem Ansteckungsgeschen 4-5 Wochen hinterher. Wenn auf einmal die Belegungs- und Sterbezahlen steigen, hat man Zeit zur Reaktion verloren. Was man tun muß, ist m.E. überdenken, welche Inzidenzen bei hohen Impfquoten Sinn machen. Aber das ist nicht dem Wunschdenken von Hobbyposaunisten wie Jens Spahn oder Friedrich Merz zu überlassen. Denn: Können wir uns bei vielen Geimpften eine höhere Inzidenz erlauben, weil die Erkrankungen weniger schwer sind? Oder muss sie eigentlich strenger werden, weil sich ja potentiell weniger Menschen anstecken können sollten?

  • 9 Stan-und-Ollie 11.07.2021, 18:09 Uhr

    Ich bin der Ansicht wir sollten weiter auf die Inzidenzwerte achten. Man kann die Freiheitsrechte nicht gegen das Recht auf Leben stellen. Was nutzt mir die Freiheit, wenn ich am Ende tot bin. Alle, dier hier von Lockerungen, Reisen, Party etc reden und dies einfordern, sollten ihren Blick einmal auf die Niederlande werfen. Erst wenn wir eine Herdenimmunität von 85 Prozent erreichen, sollte sich das Leben wieder normalisieren.

  • 8 Andre 11.07.2021, 16:08 Uhr

    Stimmt genau. „Was man nicht weiss, macht einen nicht heiss.“ Aber moment, ich denke mehr Informationen helfen. Zusammen mit einer guten Interpretation der Datenlage.... so und nicht „Augen zu“ Strategie

  • 7 Dirk 11.07.2021, 15:30 Uhr

    Ich kann die Kritik am Inzidenz-Wert nicht nachvollziehen. Es ist schlichtweg ein Frühindikator, der anzeigt, dass etwas aus dem Ruder läuft. Punkt. Andere Werte, wie z.B. die Belegung der Intensivbetten mit Covid-Patienten, zeigen den aktuellen Wert an, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wirken die Impfstoffe, dann wird automatisch die Inzidenz runtergehen. Somit kann geschlussfolgert werden: Was ist so schlecht am Inzidenzwert. Was noch erwähnt werden sollte ist, dass es nicht nur um die Toten geht. Es geht auch um die Menschen, die mit Blick auf Long-Covid erkranken, was sich sicherlich niemand für sich selbst wünscht. Auch das ist ein Schicksal, dass es zu vermeiden gilt. Um auf den ersten Kommentar einzugehen: Die Gesundheit besteht aus der psychischen und physischen Gesundheit und die Freiheit des einen ist immer die Unfreiheit des anderen.

  • 6 Hambacher Fest 11.07.2021, 15:24 Uhr

    Ideologie schlägt Vernunft: Das kommt für mich auch in dem Festhalten an Inzidenzwerten zum Ausdruck. Ich empfehle das Lesen der Nachdenkseiten. Dort wird erklärt, warum Inzidenzwerte denkbar wenig Aussagekraft haben.

  • 5 ally 11.07.2021, 15:11 Uhr

    hallo zusammen, hallo olli, "inzidenz-wahn" nein, den gibt es nicht, denn vieren mutieren und es ist nicht die erste und wird auch nicht die letzte pandemie für uns sein, wir hatten einfach nur viel glück inden letzten 20 jahren. eher würde mich interessieren wie mit zukünftige pandemien umgegangen wird. wie will vorbeugend gehandelt werden? LG ally

  • 4 marwo 11.07.2021, 15:07 Uhr

    was jens spahn vorschlägt, ist vernünftig und hätte längst gemacht werden können: nämlich schauen, wer da wie lange und warum im krankenhaus liegt und welche kandidaten auf intesiv müssen und am ende tatsächlich beatmet werden und gar sterben. und eigentlich sollte sehr alte menschen, nachdem sie geimpft wurden ein paar wochen nach der 2. dosis alle zum neutralisationstest. dann kann man schauen, ob die impfung überhaupt wirksam war. wenn nämlich nicht, muss man für diese menschen andere schutzmaßnahmen ergreifen.

  • 3 wahnsinn 11.07.2021, 14:33 Uhr

    Irgendwann sind die Kollateralschäden höher als die Corona-Schäden ... die Menschen sind extrem müde, Familien kurz vor dem Zusammenbruch, und eine Aussicht darauf, endlich wieder Dinge tun zu dürfen die Freude machen, gibt es nicht. Kaum gibt es eine kleine Pause und die Lebensfreude kehrt zurück, da kommt schon Nachschub an Verbotsregeln oder solchen, die die Teilnahmehürden extrem hoch legen. Ich bin inzwischen außerstande und nicht mehr willens mir die aktuellen Regeln zu merken, damit sie sich in ein paar Tagen schon wieder ändern. Und dabei ist jetzt Sommer. Ich will mir gar nicht ausmalen was dann im Herbst schon wieder anrollt. Ach ja, bezüglich Urlaub auch wieder ein nervenzehrender Ritt auf der Rasierklinge. Was geht? Wo geht? Passt das mit dem Urlaubstermin? Und was machen, wenn es floppt? Und wie erkläre ich den ganzen Wahnsinn einem Kind? Gibt es Schule? Freizeitmöglichkeiten? Kindergeburtstag? Und alle diejenigen, die immer noch auf eine Impfung warten, aber keine kriegen

  • 2 Christoph Stamm 11.07.2021, 13:42 Uhr

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  • 1 Olli 11.07.2021, 12:46 Uhr

    Der Inzidenz-Wahn muss im Interesse der psychischen Gesundheit und Freiheit der Menschen enden. Bislang ist davon nichts umgesetzt. In NRW beginnen weiter ab einer Inzidenz von 10 Kontaktbeschränkungen. Meiner Meinung nach sollte das RKI Daten auch nur noch 1x pro Woche veröffentlichen. Bereits die täglichen morgendlichen Meldungen in allen Medien geben der Inzidenz eine so nicht real gegebene Bedeutung und tragen zur täglichen neuen Verunsicherung und psychischen Zermürbung bei.

    Antworten (3)
    • Alexa 11.07.2021, 16:14 Uhr

      Solange ich nicht möchte, dass die ungeimpften Kinder sich anstecken, bleibt die Inzidenz wichtig: sie ist die einzige Möglichkeit, abzuschätzen, wie hoch das Ansteckungsrisiko vor allen für Ungeimpfte ist. Alternativ müssen wir uns jetzt darauf einigen, dass die Gesellschaft mehrheitlich für eine Durchseuchung der Ungeimpften ist, also besonders der Kinder. Dafür müssten wir uns aber wirklich sicher sein, dass die gesundheitlichen Folgen für Kinder auch zu vernachlässigen sind, wenn sich Millionen Kinder anstecken. Wenn die Gesellschaft die Inzidenz nicht mehr wichtig findet und die allgemeinen Beschränkungen aufhebt, kann man Kinder nicht mehr schützen, ohne ihr Leben wieder einzuschränken.

    • Gerry 12.07.2021, 00:14 Uhr

      Falsch zermürbend ist ein Krankenhausaufenthalt besonders mit Beatmung oder auch lange Zeit noch mit Long-Covid zu leiden. Wie man an der Grafik oben sieht ist die Relation der Hospitalationen eher stärker geworden (mehr Beatmungen bei niedrigerer Inzidenz in der dritten Welle). Wie schulden es vor allem den unter 16 und erst recht den unter 12 Jährigen die Inzidenz niedrig zu halten. Das ist die neue Risikogruppe. Also auf zum Impfen. "Das Spitze muss ins Speckige"

    • Marco 12.07.2021, 13:02 Uhr

      Gebe Ihnen zu 100% Recht... Diese Angstmaschine muss endlich mal gestoppt werden. Es wird allenthalben so getan, als sei hier keine Immunität aufgebaut worden. Man hat den Menschen Angst gemacht und kommt jetzt nicht mehr raus, so mein Eindruck, der sich einstellt.

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