Intensivmediziner: "Lockdown kommt bei privaten Treffen an Grenzen"

Stand: 01.01.2021, 20:20 Uhr

Der Kölner Intensivmediziner Prof. Christian Karagiannidis zieht im WDR-Interview Bilanz zu den Corona-Maßnahmen. Er kritisiert, dass medizinisches Personal in NRW noch nicht geimpft wird.

WDR: Wie zufrieden sind Sie mit dem Impfstart in Deutschland und vor allem in Nordrhein-Westfalen?

Prof. Christian Karagiannidis: Also in Deutschland hinken wir sicherlich im internationalen Vergleich etwas hinterher, aber Herr Spahn hat das schön gesagt, das ist natürlich auch dem Föderalismus ein Stück weit geschuldet.

Hier in Nordrhein-Westfalen haben wir ein bisschen die Situation, dass sich in den Krankenhäusern doch etwas Unmut regt, weil bisher keine Pflegekraft und kein Arzt geimpft worden ist. Wir würden auch von Fachgesellschaftsseite gerne die Landesregierung auffordern, doch genauso wie die Altenheime auch die Krankenhäuser zu berücksichtigen mit dem Personal, das jeden Tag an der Front kämpft.

WDR: Zurzeit sind 5.600 Menschen auf Intensivstationen in Deutschland. Was glauben Sie, wann kommen die Maßnahmen merklich dort an?

Prof. Karagiannidis: Nach unseren Berechnungen werden die Zahlen in den nächsten zwei, drei Wochen noch weiter hochgehen, wir werden wahrscheinlich über 6000 Patienten auf den deutschen Intensivstationen sehen. Wir müssen dann ganz stark hoffen, dass wir über Weihnachten nicht zu viele Infektionen innerhalb der Familien hatten, sodass wir dann die Spitze erreicht haben. Nach unseren Berechnungen funktioniert der Lockdown, aber nicht so stark wie zum Beispiel im Frühjahr oder in Frankreich, so dass wir befürchten, dass sich die hohe Zahl der Intensivpatienten nur sehr langsam absenkt, bis in den März, April hinein.

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WDR: Wie stecken sich denn die Leute überhaupt noch an?

Prof. Karagiannidis: Unser großes Problem jetzt in der zweiten Welle gerade zum Jahresende hin ist, dass sich viele der Infizierten innerhalb der Familienverbände anstecken. Dazu braucht es gar nicht die Großereignisse, sondern es reicht auch schon aus, wenn man sich mit fünf, sechs, sieben Personen trifft und vielleicht nicht ganz so vorsichtig ist. Diese Weitergabe macht uns im Moment so viele Schwierigkeiten, wo auch der harte Lockdown irgendwann an seine Grenzen kommt. Deswegen möchten wir auch nochmal von Fachgesellschaftsseite aus dazu auffordern, sich wirklich eng daran zu halten und sich mit möglichst wenigen innerhalb der Familie zu treffen.

WDR: Wie weit ist es denn noch, bis sie über die Grenze des Machbaren auf den Intensivstationen kommen?

Prof. Karagiannidis: Die gute Nachricht für 2021 ist, dass wir es in Deutschland mit höchster Wahrscheinlichkeit schaffen werden, jeden Patienten zu versorgen. Die Belastung ist enorm auf den Intensivstationen, weil die Patienten auch einfach so extrem krank sind. Ich glaube, dass wir im Moment sagen können, die Hälfte aller Intensivstationen ist so belastet oder so ausgelastet, dass sie keine weiteren Patienten aufnehmen kann - die andere Hälfte kann noch Patienten aufnehmen. Wir haben zum Glück ein bundesweites Kleeblatt-Konzept, wo wir wenn es eng wird in einer Region oder einem Bundesland auch innerhalb von Deutschland Patienten verlegen können. Ich glaube, dass das trotz aller Belastungen am Ende reichen wird, um alle Patienten zu versorgen.

Die Fragen stellte Michael Dietz in der Aktuellen Stunde im WDR-Fernsehen.

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