Mehr als 11.000 Neuinfektionen an einem Tag - damit hat das neuartige Coronavirus seinen eigenen Rekord in Deutschland gebrochen. Die 7-Tage-Inzidenz liegt mittlerweile bei etwa 56. Die Lage sei "sehr ernst", sagte RKI-Chef Lothar Wieler am Donnerstag.
Und doch: Im Vergleich zu einigen Nachbarländern steht Deutschland mit den krassen Zahlen noch gut da. Genauer gesagt an dem Punkt, an dem Belgien und die Niederlande vor fünf Wochen waren: Laut einer Untersuchung an der TU Berlin lag der Inzidenzwert in den Niederlanden Mitte September bereits bei 48, in Belgien bei 49 - so viele Fälle also pro Woche und 100.000 Einwohnern, wie in Deutschland jetzt, fünf Wochen später, gemeldet werden.
Niederlande: Fast Hälfte aller Intensivbetten belegt
Was aber heißt das? Werden wir hierzulande in fünf Wochen die gleichen Zustände haben wie in den Niederlanden? Dort gilt seit dem 14. Oktober ein sogenannter Teil-Lockdown: Restaurants, Bars, Cafés sind geschlossen. Fast die Hälfte der vorhandenen Intensivbetten in niederländischen Krankenhäusern - 450 Stück - seien bereits durch Covid-19-Patienten belegt, meldet die niederländische Regierung am Donnerstag. Zuletzt kamen jeden Tag etwa 46 Patienten hinzu.
Belgien: Infiziertes Pflegepersonal muss zur Arbeit
In belgischen Krankenhäusern ist die Lage dramatisch: Rund 3.000 Covid-19-Patienten werden hier zur Zeit behandelt, jeden Tag kommen 300 dazu. Nach Angaben der Regierung sind 525 Coronakranke auf Intensivstationen - acht Prozent aller Infizierten. Da fast ein Drittel des Pflegepersonals selbst infiziert ist, müssen Mitarbeiter, die keine Symptome haben, trotzdem zur Arbeit, weil sie dringend gebraucht werden. Die belgische Regierung will am Freitag über weitere Verschärfungen der Schutzmaßnahmen beraten.
Mehr Intensivbetten
So weit müsse es in Deutschland nicht unbedingt kommen, sagte RKI-Chef Wieler. Es gebe "Anzeichen dafür, dass wir es aufhalten können, wenn wir uns an die Regeln halten und uns gemeinsam anstrengen. Aber auch nur dann".
Zum einen verfüge das hiesige Gesundheitssystem über vergleichsweise mehr Kapazitäten - wie zum Beispiel Intensivbetten. Von den rund 30.000 Intensivbetten in deutschen Krankenhäusern sind derzeit nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gut 21.400 (72 Prozent) belegt - 1.000 davon durch Covid-19-Patienten. Doch die Zahlen steigen stetig: Mitte September waren es noch etwa 250 Betten.
Was allerdings auch daran liegt, dass laut RKI die Fallzahlen in den Risikogruppen wieder stark ansteigen - nämlich um 50 Prozent wöchentlich. Ginge dieser Anstieg so weiter, wären demnach in zwei Wochen 2.000 Fälle auf den Intensivstationen erreicht, in drei Wochen dann der Höchststand von April.
Besseres Gesundheitssystem
Gegen eine Entwicklung wie in den Nachbarländern spreche aber auch das öffentliche Gesundheitssystem in Deutschland, so Wieler. Es sei deutlich besser und stärker - "auch, wenn es über die letzten Jahrzehnte stiefmütterlich behandelt wurde".
Eine WDR-Recherche bei den NRW-Gesundheitsämtern zeigte allerdings gerade, dass viele besonders bei der Kontaktnachverfolgung derzeit nicht mehr hinterherkommen.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sieht das zwar offenbar anders - man habe "das nach wie vor im Griff", sagte er am Donnerstag. Dennoch kündigte er an, 1.000 zusätzliche Mitarbeiter in die Gesundheitsämter zu schicken und Geld für weiteres Personal zur Verfügung zu stellen.
Gute Arbeit der Hausärzte
Viel zur vergleichsweise kontrollierten Lage in Deutschland hätten auch die Hausärzte beigetragen, sagt Uwe Janssens, Chefarzt für Intensivmedizin am St. Antonius-Hospital in Eschweiler. Sie hätten schon zu Beginn der Pandemie viele Infizierte so gut betreut, dass sie nicht krankenhauspflichtig wurden und damit "den Krankenhäusern den Rücken freigehalten". Im Zusammenspiel zwischen ambulanter und stationärer Medizin liege bisher "ein Schlüssel des Erfolges für die deutsche Medizin" in der Corona-Pandemie.
"Gemeinsam anstrengen"
RKI-Chef Wieler warnte und appellierte am Donnerstag zugleich: "Es muss nicht so sein, dass wir in fünf Wochen da stehen, wo jetzt die Nachbarstaaten stehen, aber es kann sein", sagte er. Wenn sich alle gemeinsam anstrengen würden, könne man es schaffen, das zu verhindern.