Impfreihenfolge: Klare Priorisierung oder Freigabe für alle?

Stand: 03.04.2021, 14:44 Uhr

Wer soll wann geimpft werden und macht das überhaupt noch Sinn? Nicht nur Hausärzte sind für eine Abkehr der bisherigen Impfreihenfolge. Es gibt aber auch Gegner einer Freigabe für alle. Ein Pro und Contra.

Jetzt sind also auch die Über-60-Jährigen früher als geplant an der Reihe und können sich Termine zur Corona-Impfung buchen. Und es sind viele.

So viele, dass in NRW am ersten Tag der Terminvergabe nach wenigen Minuten schon der zuständige Server unter der Anfragelast zusammenbrach. Der Impfwunsch ist also da - übrigens auch bei den Jüngeren.

Hat sich die strikte Impfreihenfolge nach Alter vielleicht bald schon überholt? Forderungen nach einer Lockerung der Impfreihenfolge werden jedenfalls immer lauter.

Auf Gesundheit, nicht aufs Alter gucken

Viele Hausärzte sind für eine Abkehr von der bisher geltenden Reihenfolge. Die Priorisierung sei eine gute Leitlinie für Ärzte, solange der Impfstoff noch in geringen Mengen verfügbar sei, sagte Verbandschef Ulrich Weigeldt in der "Rheinischen Post" am Samstag.

Allerdings werde man bald nicht mehr so sehr auf Zahlen, sondern zunehmend auf die Gesundheit der Menschen schauen müssen.

"Ein Mann von 69 Jahren mit Hypertonus und Diabetes sollte vielleicht eher die Impfung erhalten als eine 72-jährige Triathletin", sagte Weigelt. Wenn die Impfstoffmenge ein bestimmtes Maß überschritten habe, müsse die Priorität sein: "Den zugelassenen Impfstoff schnellstmöglich allen, die können und wollen, zu impfen."

Ungenutzter Impfstoff

Angesichts hunderttausender Dosen Astrazeneca-Impfstoff, die noch ungenutzt in den Depots der Bundesländer liegen, sprach sich auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dafür aus, vorerst Astrazeneca zur Impfung für alle freizugeben.

Unterstützung für den Vorschlag kam auch aus der SPD: Astrazeneca müsse sofort allen Menschen unter 65 in den bestehenden Prioritätsgruppen angeboten werden, erklärte der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach.

Angesichts der kritischen Infektionslage könne es sich Deutschland einfach nicht leisten, Impfstoff ungenutzt zu lassen. Nur mit möglichst vielen Erstimpfungen gelinge es, Menschen vor schwerer Krankheit und Tod zu bewahren.

Astrazeneca für alle?

Beim Thema Astrazeneca sei die Priorisierung gescheitert, meinte auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung in Sachsen, Klaus Heckemann. "Wenn wir diesen Impfstoff nicht für alle öffnen, können wir ihn auch gleich vom Markt nehmen", sagte Heckemann dem MDR.

Bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna solle die Terminvergabe anhand der festgelegten Priorisierung hingegen beibehalten werden.

Impfung für Jüngere mit Vorerkrankung

Priorisierung völlig aufheben? Bei den Höherpriorisierten stößt dieser Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Nicht alle, sondern vor allem jüngere Menschen mit Vorerkrankungen müssten nun schneller ein Angebot bekommen, sagt zum Beispiel Inklusions-Aktivist Raul Krauthausen, der trotz seiner Schwerbehinderung nicht zur ersten Prioritätsgruppe gehört. "Gibt es schon Tauschbörsen für Astrazeneca-Termine, die frei wurden, weil angeblich niemand die Plörre will? Ich würde sie nehmen."

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Impf-Reihenfolge "wohlbegründet"

Timo Ulrichs, Epidemiologe an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin, plädiert dafür, die Priorisierung bei der Impfreihenfolge beizubehalten. Die Todeszahlen bei den Über-80-Jährigen sinken bereits: "Das kann man jetzt schon sehen."

Die Impfreihenfolge sei ja nicht zufällig gewählt, sondern berufe sich auf wohlbegründete Kriterien, argumentiert Franz-Josef Bormann, Mitglied des Deutschen Ethikrates.

Auch WDR-Wissenschaftsredakteurin Ruth Schulz ist gegen eine Aufhebung der Impf-Priorisierung. "Ich glaube, es könnte so etwas wie ein Windhundrennen entstehen, wer kriegt zuerst einen Impftermin - und das wird chaotisch sein", sagt sie in der "Aktuellen Stunde".

Schon jetzt klappe ja die Organisation der Impfungen nicht überall wirklich gut und die Callcenter seien überlastet. Man brauche eine gute Reihenfolge beim Impfen, betonte Schulz.

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