Unionsantrag zum Umgang mit Migration
Aktuelle Stunde . 26.01.2025. 41:11 Min.. UT. Verfügbar bis 26.01.2027. WDR. Von Henry Bischoff.
Migrationsdebatte: Merz, die AfD und der Druck auf Parteien der Mitte
Stand: 26.01.2025, 09:39 Uhr
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz verschärft den Ton in der Migrationsdebatte und will noch nächste Woche Bundestagsanträge einreichen. Damit macht er kurz vor der Bundestagswahl noch Druck auf andere Parteien der Mitte und nimmt dabei auch Stimmen der AfD in Kauf. Was treibt ihn an?
Friedrich Merz hat im Fall eines Wahlsiegs eine drastisch härtere Migrationspolitik angekündigt. Noch in der nächsten Woche will der Spitzenkandidat der Union entsprechende Bundestagsanträge stellen. Sollte er zum Kanzler gewählt werden, so will er am ersten Tag im Amt das Innenministerium anweisen, alle Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und ein "faktisches Einreiseverbot" für alle Menschen ohne gültige Papiere durchzusetzen - auch solche mit Schutzanspruch. Ausreisepflichtige Menschen sollen zudem bis zur Abschiebung in Gewahrsam genommen werden.
Man werde die Anträge einbringen "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt", so die Marschrichtung von Merz. Um im aktuellen Bundestag auf eine Mehrheit zu kommen, wäre die Union auf die Zustimmung mehrerer Parteien angewiesen. Jetzt fürchten einige, dass eine Mehrheit mit Stimmen der AfD zustande kommen könnte und die CDU/CSU plötzlich gemeinsame Sache mit den Rechten macht - obwohl Merz eine Zusammenarbeit kategorisch ablehnt.
Merz und die Union geraten wegen drohender AfD-Zustimmung zu ihren Anträgen zunehmend in die Kritik. Bei großen Protesten gegen Rechts in vielen deutschen Städten etwa kritisieren die Menschen auch Merz. Mittlerweile liegen von der Union zwei Antragsentwürfe vor. Darin kritisiert sie die AfD und bezeichnet sie als politischen Gegner.
Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zur Debatte:
- Was fordert die Union in ihrem Migrations-Papier?
- Was bezweckt Merz mit den Anträgen?
- Wie versucht die Union, sich in den Antragsentwürfen von der AfD zu distanzieren?
- Wie realistisch sind die Unions-Pläne zur Migration?
- Was sagt ein Politikwissenschaftler zu Merz' Strategie vor der Wahl?
- Mit wem plant Merz Gespräche über die Migrations-Anträge?
- Wie begründet Merz sein Vorgehen?
- Wie reagieren die anderen Parteien?
Was fordert die Union in ihrem Migrations-Papier?
Der Deutschen Presse-Agentur und "Bild" liegt ein zweiseitiges Unions-Papier vor: "Fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration". Die Union fordert dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche einer illegalen Einreise.
Es gelte ein faktisches Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente haben und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen. "Diese werden konsequent an der Grenze zurückgewiesen. Dies gilt unabhängig davon, ob sie ein Schutzgesuch äußern oder nicht. In unseren europäischen Nachbarstaaten sind sie bereits sicher vor Verfolgung, einer Einreise nach Deutschland bedarf es somit nicht", heißt es in dem Antragsentwurf.
Zu den fünf Punkten, die unverzüglich umgesetzt werden sollen, zählt ferner, dass nachvollziehbar ausreisepflichtige Personen "unmittelbar in Haft genommen werden". Die Bundesländer sollen mehr Unterstützung beim Vollzug der Ausreisepflicht erhalten. Zudem soll das Aufenthaltsrecht für Straftäter und sogenannte Gefährder verschärft werden.
Was bezweckt Merz mit den Anträgen?
Die ARD-Korrespondentin Sabine Henkel deutet es als taktischen Zug: Merz wolle mit der Migrationsdebatte einen Politikwechsel einleiten. "Wenn die AfD einem Antrag zustimmt, ist das noch lange keine Zusammenarbeit. Offenbar geht es Merz und seinen Leuten darum, Druck zu machen - auch auf die politische Mitte."
Wie versucht die Union, sich in den Antragsentwürfen von der AfD zu distanzieren?
Die Union nimmt in ihrem Text ausdrücklich Bezug auf die AfD: Die AfD nutze Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.
"Sie will, dass Deutschland aus EU und Euro austritt und sich stattdessen Putins Eurasischer Wirtschaftsunion zuwendet. All das gefährdet Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner", heißt es in dem zweiseitigen Papier.
Wie realistisch sind die Unions-Pläne zur Migration?
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Samstag auf mehreren Wahlveranstaltungen, Merz' Pläne seien mit Grundgesetz und europäischen Verträgen nicht vereinbar. SPD-Chefin Saskia Esken warf dem Kanzlerkandidaten der Union einen 'Erpressungsversuch' vor.
SPD und Grüne könnten aus politischen und rechtlichen Gründen dagegen stimmen, denn die Pläne der Union sind nicht so einfach umzusetzen. Wer soll die Grenze kontrollieren bei dem Personalmangel? Und ist das alles überhaupt mit europäischem Recht vereinbar?
Nach Einschätzung des österreichischen Migrationsforschers Gerald Knaus verstoßen die Pläne des Unions-Kanzlerkandidaten massiv gegen geltendes EU-Recht sowie das Schengen- und das Dublin-Abkommen. Und auch die Gewerkschaft der Polizei hält Grenzkontrollen schon organisatorisch für nicht umsetzbar.
Was sagt ein Politikwissenschaftler zu Merz' Strategie?
"Es ist eine Gratwanderung für alle, die sich jetzt im Wahlkampf befinden. Gleichzeitig ist ja die Erwartungshaltung in der Bevölkerung, dass sich etwas ändert, extrem groß", sagt Politikwissenschaftler Volker Kronenberg von der Universität Bonn.
Ob Merz damit der AfD helfen könne, sieht Kronenberg differenziert. "Jetzt zu sagen, wir vertagen das alles bis nach der Wahl, könnte ja umgekehrt auch der AfD zu weiterem Auftrieb verhelfen", so seine Einschätzung im WDR-Interview. Die CDU gucke weniger auf der AfD. "Man will die anderen Parteien bewegen, mitzuziehen. Das Heft in die Hand zu nehmen, scheint die Maxime zu sein."
Dafür nehme Merz auch in Kauf, dass die AfD nächste Woche zustimme und die politische Konkurrenz das als Bröckeln der Brandmauer interpretieren könnte.
"SPD und Grüne können nicht ignorieren, dass es die Menschen weit über die Parteigrenzen und Milieus umtreibt und beschäftigt - und dass sie jetzt politisches Handeln erwarten", so Politikwissenschaftler Kronenberg über das Thema Migration.
Mit wem plant Merz Gespräche über die Migrations-Anträge?
Merz will die Anträge in der anstehenden Plenarwoche in den Bundestag einbringen. SPD, Grüne und FDP hätten die Texte erhalten, schrieb Merz auf "X". "Die AfD bekommt diese Texte nicht", betonte er. "Wir können uns über das Wochenende miteinander verständigen, wie wir nächste Woche abstimmen. Spätestens nach Aschaffenburg gibt es keine Taktiererei und keine Spielchen mehr. Jetzt muss entschieden werden", forderte Merz.
Wie begründet Merz sein Vorgehen?
Er verhandle nicht mit der AfD, auch nicht mit dem BSW und anderen, sagte Merz. "Es bekommen die ehemaligen Ampel-Fraktionen die Texte von uns mit der ausdrücklichen Bitte, darüber über das Wochenende zu sprechen und den Versuch zu unternehmen, in der nächsten Woche hier eine gemeinsame Entscheidung zu treffen."
Zu der Kritik sagte Merz auf einer Wahlkampfveranstaltung: "Machen wir uns dann abhängig vom Abstimmungsverhalten der AfD? Entscheidet die AfD darüber, welche Anträge wir in den Deutschen Bundestag einbringen und welche nicht?"
Wie reagieren die anderen Parteien?
AfD, BSW und FDP haben ihre Zustimmung zu den Vorschlägen von Merz signalisiert, wollen aber zunächst abwarten, welche Anträge die Union genau einbringen wird.
Die SPD wiederum wird Anträge zu den schärferen Sicherheitsgesetzen und der nationalen Umsetzung der europäischen Asylreform einbringen, zu denen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bisher die Zustimmung verweigert hatte.
Unsere Quellen:
- Einschätzung der Korrespondentin Sabine Henkel, ARD-Hauptstadtstudio
- WDR-Interview mit Politikwissenschaftler Volker Kronenberg
- Nachrichtenagentur dpa
- Nachrichtenagentur Reuters