Grundschulen: "Aufhebung der Abstandsregeln ist problematisch"

Stand: 05.06.2020, 14:36 Uhr

  • Interview mit Medizin-Expertin Katrin Krieft
  • Enge Klassenzimmer bergen höheres Infektionsrisiko
  • Werden Viren aus der Schule in den Urlaub mitgeschleppt?

Grundschüler in NRW sollen wieder täglich in die Schule. In voller Klassenstärke, ohne Abstandsregeln. Kann das gutgehen? Ein Gespräch mit der Medizin-Expertin Katrin Krieft.

WDR: Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat verkündet: Ab dem 15. Juni haben Grundschüler wieder regulären Unterricht, da das Infektionsgeschehen in dieser Altersgruppe bei "nahezu null" liege. Stimmt das?

Katrin Krieft: Nein, das kann man so nicht sagen. Die Berichte des Robert-Koch-Instituts zeigen: Es gibt immer noch Kinder, die erkrankt sind. Es sind nicht viele, aber es gibt immer noch neue Fälle. Allerdings sind Kinder erwiesenermaßen die Gruppe, bei der die geringste Gefahr besteht, dass es zu schweren Verläufen kommt.

WDR: Sinngemäß heißt es vom Schulministerium: Die Schüler müssen keinen Abstand mehr halten, so lange feste Gruppen gebildet werden und sich die Klassen nicht mischen. Reicht das?

Porträtfoto von Katrin Krieft

Medizin-Expertin Katrin Krieft

Krieft: Ich fände es sinnvoller, wenn die Kinder dennoch weiter Abstand halten würden. Gerade in geschlossenen Räumen, mit Kindern, die dicht an dicht sitzen, ist die Gefahr zu groß, dass doch etwas passiert. Alleine wegen der Tatsache, dass es bestimmt einige Kinder gibt, die Kontakt mit Risikopersonen haben, halte ich die Aufhebung der Abstandsregeln in der Grundschule für problematisch.

Zur Person: Katrin Krieft

Katrin Krieft hat in Münster Medizin studiert und einige Jahre als Ärztin für Innere Medizin im Krankenhaus gearbeitet. Dann wechselte sie in den Wissenschaftsjournalismus. Seitdem arbeitet sie als freie Autorin für Medizinthemen, unter anderem für die Sendungen "Quarks" und "Hirschhausens Quiz des Menschen". Ihre Beiträge wurden mehrfach ausgezeichnet.

WDR: Infizierte Kinder haben offenbar meist nur sehr milde oder gar keine Symptome. Steigt da nicht die Gefahr einer unbemerkten Ausbreitung?

Krieft: Durchaus, ja. Das Kind ist in der Schule, steckt sich dort an, geht ohne Symptome nach Hause - und dann wird eben die Oma krank. Das muss man gut im Auge behalten. In Israel zum Beispiel haben die Schulen vor zwei Wochen wieder geöffnet, und dort gibt es jetzt die ersten Ausbrüche. Das könnte bei uns natürlich auch passieren. Und da kommt eben das Problem ins Spiel, dass man vielen Kindern die Infektion nicht anmerkt.

WDR: Genau um dieses Thema gab es viel Streit. Dass Kinder zur Ausbreitung beitragen könnten, ist nicht endgültig belegt...

Krieft: Richtig. Es ist aber auch nicht widerlegt. In dieser Pandemie rechnen wir immer noch mit sehr vielen Unbekannten. Das ist eine davon.

WDR: Die Kinder gehen nur zwei Wochen zur Schule, dann sind Sommerferien. Zwei Wochen beträgt auch die Inkubationszeit bei Covid-19...

Krieft: Zumindest erneute Schulschließungen wegen Ausbrüchen wird man eher nicht erleben. Allerdings könnte dann das Problem auftreten, dass ein infiziertes Kind ohne Symptome durch halb Europa in den Urlaub fliegt. Und wenn es im Juli zu einem Ausbruch kommt, ist es schwerer nachzuvollziehen, ob das an den Schulöffnungen liegt oder an der steigenden Mobilität zum Ferienbeginn.

Das Interview führte Ingo Neumayer.

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