Ungeimpfte müssen draußen bleiben! Wenn es nach der Idee von Kanzleramtschef Helge Braun geht, könnte das im Herbst Realität werden. Braun rechnet nämlich damit, dass die Inzidenzen bis dahin Werte von bis zu 850 erreichen, sollte die Impfkampagne nicht noch einmal an Fahrt aufnehmen.
"Das kann auch bedeuten, dass gewissen Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist", sagte Braun der "Bild am Sonntag".
Die politischen Meinungen zu diesem Vorschlag sind gespalten. Doch wie steht es mit den rechtlichen Grundlagen für so eine "Impfpflicht durch die Hintertür"?
Wären Einschränkungen für Ungeimpfte vereinbar mit der Verfassung?
Ja, sagt der Berliner Rechtswissenschaftler und Universitätsprofessor Christian Pestalozza. Denn in der Verfassung ist auch die Schutzpflicht des Staates festgelegt: Das heißt, der Staat muss die Gesundheit der Bevölkerung sogar schützen. Und wenn das nur mit solchen Maßnahmen möglich ist, dann sei es "völlig selbstverständlich", dass der Staat diese erheben könne, so Pestalozza.
Allerdings dürften diese nicht unverhältnismäßig sein. Das wären sie, "wenn sie nicht zum Schutz der Gesundheit der Betreffenden selbst oder deren Umgebung erforderlich oder nicht zumutbar sind", sagt Pestalozza.
Auch der Bonner Uni-Professor für Öffentliches Recht und ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Udo Di Fabio hält eine solche Maßnahme mit "Ausnahmen für bestimmte Gruppen für denkbar", wie er dem ZDF-Wissenschaftsmagazin "Scobel" bereits Anfang des Jahres sagte.
Was dürfte demnach verboten werden und was nicht?
Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Denn sobald konkrete Einschränkungen geplant oder ergriffen würden, müsste man sich laut Pestalozza jede dieser Maßnahmen einzeln anschauen und entscheiden, ob "diese dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügt".
Konkret heißt das, es müsse geschaut werden, ob die Einschränkung geeignet und erforderlich ist, um die Betroffenen zu schützen, und ob man diese den Betroffenen auch zumuten könne, sagt Pestalozza.
Gibt oder gab es so etwas schon einmal in Deutschland?
Ja, eine indirekte Impfpflicht gibt es in Deutschland aktuell bereits - gegen Masern. Demnach können nur Kinder die Kita besuchen, wenn ihre Eltern einen gültigen Impfnachweis gegen Masern für sie vorweisen können.
"Aber auch eine allgemeine Impfpflicht bestand in Deutschland über Jahrzehnte hinweg", sagt der Historiker Malte Thießen, der sich unter anderem mit der Geschichte der Gesundheit, Gesundheitsvorsorge und des Impfens beschäftigt. Demnach war die Impfung gegen Pocken seit 1874 in ganz Deutschland verpflichtend.
Erst ab 1976 wurden in der Bundesrepublik keine Erstimpfungen mehr durchgeführt. Endgültig wurde die Impfpflicht in der DDR 1980 und in der Bundesrepublik 1983 abgeschafft. "Sie überlebte also das Kaiserreich, die Weimarer Republik, die NS-Zeit sowie lange Zeit in der DDR und der Bundesrepublik", sagt Thießen.
Und könnte rein rechtlich auch wieder kommen, so Juraprofessor Di Fabio: "Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ist bei einer epidemischen Gefahrenlage von einem solchen Ausmaß wie bei der Corona-Pandemie grundsätzlich möglich."