Zur Erstkommunion bekam ich von meinem Onkel einen schwarz-gelben Schal geschenkt. Er Dortmund-Fan - ich dann auch. Ich zog den Schal direkt zu meinem weißen Kommunionkleid an. Bestes Geschenk! Jahrelang habe ich mit den Borussen mitgefiebert, bin mit meiner besten Freundin dem lokalen Fanclub beigetreten und im Fan-Bus zu Spielen gefahren, um von der Südtribüne aus "Amoroso" und "Koller" Richtung Tor zu brüllen.
In den letzten Jahren hat sich mein Fan-Sein immer weiter ausgeschlichen. Ich war seit Jahren nicht mehr im Stadion, klebe nicht mit dem Ohr am Radio, wenn die Schlusskonferenz läuft, sogar Public-Viewing bei EM und WM geht an mir vorbei.
"Ich bin an dem Punkt, dass ich sage: Fußball ist mir egal. Daran ist das System Fußball schuld. Denn das krankt an vielen Stellen." Caro Wißing
Rekordmeister macht Rekordlangeweile
Der FC Bayern München ist am Wochenende zum zehnten Mal in Folge deutscher Meister geworden. Wie ätzend langweilig ist das denn bitte?! Nicht einmal Trainer Julian Nagelsmann scheint das sonderlich zu beeindrucken. Bei der Pressekonferenz nach dem Sieg sagte er, die Meisterschaft würde die Saison in ein etwas besseres Licht rücken. Andere Mannschaften wären ausgerastet vor Freude. Die Bayern machen einfach einen Haken dran. Traurig. Und auch dem großen Fußball-Magazin "11Freunde" ist der vorzeitige Titelgewinn nicht mal einen Tweet wert.
Jetzt könnte man sagen: Die Bayern sind halt die beste Mannschaft. Stimmt ja auch. Sie haben die meisten Punkte eingefahren. Richtig ist auch: Die Bayern haben bessere Spieler im Kader als der Tabellenletzte Greuther Fürth. Und weil Prämien und TV-Gelder nach Erfolg verteilt werden, stehen den Bayern nächste Saison mehr Gelder zur Verfügung, um wieder bessere Spieler zu kaufen als Greuther Fürth, die absteigen und weniger vom Kuchen abbekommen. Die Spirale dreht sich immer weiter. Für Fans wird die Bundesliga immer öder.
Das Geld regiert im Fußball. Ja, das ist auch in anderen Sportarten so. Wer Tennis auf Weltklasse-Niveau spielen will, muss erstmal Geld mitbringen, um sich die Teilnahme an Turnieren leisten zu können. Aber der Fußball treibt es auf die Spitze. Traditionsvereine, die kein Geld aufbringen können, verschwinden in der Versenkung. Und auf der anderen Seite können Geldgeber Vereine erschaffen und in die erste Liga hieven - siehe R(ed)B(ull) Leipzig. Was hat das noch mit Sport zu tun?
Das Geld regiert im Fußball - König Fußball regiert die Welt
Geld scheffeln wollen auch die großen Verbände: DFB, UEFA, FIFA. Sie denken sich immer neue Turnierformate und Wettbewerbe aus, die sich über Ticketverkäufe, Merchandising und TV-Rechte möglichst gut vermarkten lassen. Aus den Zuschauern wird das Geld gepresst, aus den Spielern die letzte Energie.
Oder welche guten Gründe gab es, die WM 2022 an Katar zu vergeben? Dass so ein Turnier endlich mal in einem arabischen Land ausgetragen wird, finde ich super. Aber Katar? Selbst beim Oman - auch Wüsten- und Öl-Staat - hätte ich es noch verstanden. Ich war vor Kurzem da. Jedes noch so kleine Dorf hat einen Fußballplatz. Die Omanis lieben den Fußball. Wenn es also keine sportlichen Gründe für Katar gibt, dann geht es um Geld, um Macht. Von den unsäglichen Arbeitsbedingungen für Gastarbeiter beim Bau der Stadien will ich gar nicht erst anfangen.
König Fußball regiert die Welt - dieses Selbstverständnis scheinen die Verbands- und Vereinsoberen zu haben. Mein Highlight dahingehend war der Ausraster von Uli Hoeneß im Februar vergangenen Jahres, als der FC Bayern München mit sieben Stunden Verspätung zur Klub-WM nach Katar (auch so ein überflüssiges Turnier) fliegen musste. Der Flieger hatte auf dem Rollfeld enteist werden müssen und war erst um Mitternacht startklar. Am Flughafen galt aber ein Nachtflugverbot - auch wenn an Bord hochbezahlte Bundesligaspieler sitzen. Uli Hoeneß wetterte daraufhin gegen die Flugaufsicht, gegen die zuständigen Behörden: "Ein Skandal ohne Ende". Schließlich würden die Münchener in Katar den deutschen Fußball vertreten. Das sei "eine wichtige Geschichte."
Was könnte wichtiger sein als Fußball?!
Bei der EM im vergangenen Jahr sorgte die UEFA dafür, dass die britische Regierung Corona-Auflagen abschwächte, damit mehr Zuschauer zu den Halbfinals ins Wembley-Stadion gehen konnten. Während in Deutschland Amateurvereine zu Lockdown-Zeiten monatelang nicht spielen konnten, haben die Bundesligavereine rumgeheult, weil die Stadien nicht voll ausgelastet werden durften. Von dramatischen Einnahmeeinbußen war die Rede. Trotzdem kaufen die Clubs wieder für Millionenbeträge neue Spieler ein und zahlen Rekordgagen. Da stimmt doch was nicht.
Dabei kann Fußball so schön sein, so viel Spaß machen, so herrlich Emotionen hervorrufen. An der Basis machen Fußballvereine eine wahnsinnig tolle Arbeit, leisten auch gesellschaftlich total viel: Integration, Jugendarbeit, Gesundheitsförderung, schaffen Gemeinschaft. Nur je höher gespielt wird, desto weniger spielt das noch eine Rolle. Dann wird aus Sport plötzlich Business.
Da hilft nur Boykott
Ich sehe nur eine Lösung: Der Spitzenfußball gehört ins Abseits gestellt. Die Fans, die Zuschauer müssten die erste Bundesliga und Turniere wie EM, WM und Champions League konsequent boykottieren. Klingt vielleicht unrealistisch, geht aber nicht anders.
"Ohne die Aufmerksamkeit, ohne die Ticketverkäufe, wenn das Geld ausbleibt, dann wird sich im System Fußball vielleicht etwas verändern." Caro Wißing
Ohnehin sind die Spiele in den Regional- und Verbandsligen viel spannender. Da steht nicht schon für die nächsten Jahre fest, wer denn wohl an der Tabellenspitze landen wird. Die Spieler sind nahbarer. Die Zweikämpfe leidenschaftlicher. Und wahrscheinlich schmeckt auch die Stadionwurst besser.
Gehen Sie noch ins Stadion? Können Sie sich noch für den Spitzenfußball begeistern? Oder meinen Sie vielleicht sogar, dass sich das Sportliche durchaus vom korrupten System trennen lässt? Überzeugen Sie mich, lassen Sie uns diskutieren - in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.
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Kommentare zum Thema
Es ist nicht die Schuld der Bayern, dass andere Mannschaften den Titel nicht gewinnen können. Die Bayern sind in dieser Saison ein paar Mal gestolpert und Dortmund hat das nicht ausgenutzt. Meiner Meinung nach ist der FC Bayern einfach zu stark für die Bundesliga.
Richtig nice wie Ihr immer mit dem Finger auf alles und jeden zeigt... Ihr solltet mal eure eigene Meinungspluralität und Vielfalt hinterfragen in Bezug auf Macht und Geld Strukturen... Wer im Glaushaus sitzt....
Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er sich nicht auf das Thema der Diskussion bezieht. (die Redaktion)
Grade der Fußball ist immer mehr dem Geldkonsum zum Opfer gefallen. Anders kann ich mir nicht erklären.. Warum die großen Fußballevents.. Fast Immer zu neue Arenen bauen und ihre Mitarbeitenden so ausbeuten. Sport sollte ein Hobby bleiben und keine Geldmaschinerie..