Das große Kneipensterben: Sperrstunde löst Existenzangst aus

Stand: 16.10.2020, 09:02 Uhr

Sitzen mit Abstand, nur noch kleine Tischgruppen - jetzt auch noch die Sperrstunde. Viele Gastwirte wissen nicht, ob und wie sie über den Winter mit Corona kommen sollen.

Von Nina Magoley

Walid El-Sheik war bisher als Gastronom erfolgreich. Ihm gehören mehrere angesagte Bars in der Düsseldorfer Innenstadt, darunter das Sir Walter und die Elephant Bar. Doch jetzt steht auch ihm die pure Existenzangst ins Gesicht geschrieben. Eine Sperrstunde, sagt er, bedeute das Aus für Kneipen und Bars.

Die meisten Barbesitzer machten normalerweise den Großteil ihres Umsatzes ab 1.00 Uhr nachts, sagt El-Sheik. Diese Kundschaft werde mit der Sperrstunde verloren gehen. Bis jetzt hätten sich die Wirte noch mit "nur" einem kleinen Minus am Monatsende durch die Krise zu retten versucht. Doch die Konsequenz einer Sperrstunde sei klar: "Wir müssen schließen." Seine Mitarbeiter seien jetzt bereits in Kurzarbeit, eine Sperrstunde sei kaum zu verkraften.

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Und El-Sheik sagt, was viele befragte Gastronomen beklagen: Er verstehe nicht, wie mit einer Sperrstunde die weitere Verbreitung des Virus verhindert werden solle. Die Wirte fühlen sich zu Unrecht als Pandemiebeförderer beschuldigt. Im Namen der Düsseldorfer Altstadt-Wirte hat er nun Klage gegen die Sperrstunde beim Verwaltungsgericht Düsseldorf eingereicht.

Getrennt durch Duschvorhänge

Mit dabei ist auch Isa Fiedler. Sie betreibt die alteingesessene Kneipe "Knoten" und ist Sprecherin der Vereinigung der Düsseldorfer Altstadtwirte. Das Konzept ihrer Partykneipe ist so angelegt, dass die Gäste meist im Stehen Bier trinken und dabei auch ein bisschen tanzen oder singen können. Das alles findet seit Corona ohnehin nicht mehr statt. Durch - kostengünstigere - Duschvorhänge getrennt, sitzt man im "Knoten" nun in kleinen Gruppen an Tischen. Ihr Umsatz sei um 50 Prozent zurückgegangen, sagt die Wirtin.

Wenn die insgesamt 58 Sitzplätze nach den neuen Regeln nun auf 25 schrumpfen, werde es schwierig. Im Außenbereich, fürchtet sie, wolle in den kommenden Monaten bei nasskaltem Wetter niemand mehr längere Zeit sitzen. Zudem kämen auch ihre Gäste in der Regel erst ab 23 Uhr. Um diese Zeit wird Isa Fiedler ihren Laden voraussichtlich künftig schließen müssen.

Zwar habe die finanzielle Unterstützung des Landes den Gastwirten bisher einigermaßen über die Runden geholfen, sagt Isa Fiedler. Doch wenn die Mitarbeiter über Kurzarbeitergeld bezahlt würden, der Chef aber Hartz IV beantragen müsste - dann sei das auch keine Lösung. Sie wünsche sich eine Art Unternehmerlohn, wie er derzeit in Baden-Württemberg auch an Gastronomiebesitzer ausgezahlt wird.

Zittern auch in Düren

Auch in kleineren Hotspot-Städten bangen Wirte um ihre Existenz. In Düren haben sich Gastronomen zusammengeschlossen und fordern Hilfe von der Politik. Die Lage sei dramatisch hieß es am Donnerstag beim Gastronomenstammtisch, einer Vereinigung Dürener Café- und Gaststättenbetreiber. Um zusätzliche Kunden zu gewinnen, wollen die Gastronomen jetzt ihre Außenbereiche wintergerecht umbauen. Dafür hofften die Gastwirte nicht nur auf die entsprechenden Genehmigungen, sie fordern auch finanzielle Unterstützung von der Stadt.

Keine Weihnachtsfeiern, kein Gansessen

Weit mehr als die Hälfte der gastronomischen Betriebe in NRW seien derzeit in ihrer Existenz bedroht, sagt Kurt Wehner vom Branchenverband Dehoga Nordrhein. Besonders hart treffe es Diskotheken und Clubs, die ihre Hauptumsätze spät abends machen. Aber auch Bars, Kneipen und Restaurants seien von Regelungen wie der Sperrstunde hart betroffen: Die Vorschriften zu Abstand und geringer Personenzahl pro Tisch hätten dramatische Auswirkungen. Die besonders umsatzstarken Weihnachtsfeiern oder Martinsgans-Essen stünden derzeit alle auf der Kippe.

Helfen Heizpilze?

Gäste in Außenbereichen zu bewirten sei für die meisten Wirte kaum eine Alternative. "Da gibt es zwar schon viele interessante Konzepte", sagt Wehner: Das Bauen von windgeschützten Ecken zum Beispiel, und auch was den Einsatz der umstrittenen Heizpilze angeht, zeigten sich "viele Kommunen zum Glück sehr kooperativ". Dennoch mache sich keiner die Illusion, dass sich damit das Geschäft über den Winter aufrechterhalten ließe.

Die Hoffnung vieler hänge daher nun an Luftfilteranlagen für die Innenräume. Dafür warte man auf ein "offizielles Zertifikat", sagt Wehner. Im Gesundheits- und im Wirtschaftsministerium arbeite man derzeit "unter Hochdruck" an einer Art Formel, die, vereinfacht gesagt, die Kraft der Luftfilter mit der Größe der Räume zu einer Betriebszulassung umrechnet.

Traum: Wieder wippen zur Musik

Auch Isa Fiedler wartet händeringend auf dieses "Zertifikat". Drei solcher Luftfiltergeräte hat sie in ihrer Kneipe installiert. Sie weiß zwar, dass dadurch nur die Aeorosole aus der Raumluft reduziert werden können, nicht aber eine direkte Tröfpchenübertragungen verhindert wird. Dennoch ist ihr Traum: Dass ihre Gäste mittels dieser Anlage wieder stehen dürfen - "und wenigsten ein bisschen zur Musik wippen".

Sind die Wirte selber mit schuld?

In den sozialen Medien merken viele User an, dass die Gastronomen in den einschlägigen Partyzonen selber zu der Verschärfung beigetragen hätten - indem sie in den vergangenen Wochen zugelassen hätten, dass sich Gäste dicht an dicht vor den Läden drängten und feierten.

"Wenn ich immer sehe", schreibt eine Userin unter dem Instagrampost der Aktuellen Stunde, "welche Menschentrauben sich vor ihren Lokalen tummeln und das ohne Abstand und Mundschutz muss ich mich nicht wundern und jammern wenn dann solche Maßnahmen greifen. Leid tun mir nur diejenigen, die auf alles ein wachsames Auge hatten und haben."

Kurt Wehner vom Branchenverband Dehoga findet das ungerecht: Die allermeisten Gastronomen hätten "große Anstrengungen" unternommen, ihre Gäste zu coronagerechtem Verhalten aufzufordern. Das Problem: Viele Gäste wollten die Regeln einfach nicht mehr akzeptieren. "Und diese Diskussion mit den Gästen hat kein Gastwirt je gewinnen können."

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