Corona-Impfung für Kinder: Bedrohte Ärzte, verunsicherte Eltern

Stand: 12.07.2021, 09:30 Uhr

Zwar ist der Biontech-Impfstoff auch für Kinder ab 12 zugelassen, eine Impf-Empfehlung will die Ständige Impfkommission aber noch nicht erteilen. Wie gehen Ärzte und Eltern mit dem Dilemma um?

Der Druck auf die Ständige Impfkommission (Stiko) wächst. Epidemiologen warnen davor, dass bei einer niedrigen Impfquote die vierte Corona-Welle spätestens im Herbst erneut über Deutschland rollen wird - auch wegen der hochansteckenden Delta-Variante. Politiker fordern deshalb eine groß angelegte Impfkampagne für Kinder und Jugendliche. Doch noch lehnt die Stiko eine allgemeine Impfempfehlung für diese Altersgruppe ab.

Wie ist der Stand der Debatte? Wo gibt es jetzt schon Impfungen für Kinder und Jugendliche? Was müssen Ärzte und Eltern beachten? Fragen und Antworten.

Warum hat die Stiko bisher keine Empfehlung erteilt?

Die Stiko lehnt Impfungen für Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren nicht grundsätzlich ab. Weil die Gefahr, schwer an Covid-19 zu erkranken, in dieser Altersgruppe sehr gering ist, möchte sie derzeit aber auch keine allgemeine Empfehlung aussprechen. Bisher rät sie nur dann zur Impfung, wenn die Kinder und Jugendlichen unter bestimmten Vorerkrankungen leiden - zum Beispiel Adipositas, Immunsuppression, Herzfehler, chronische Lungenerkrankungen, Diabetes - oder vom Down-Syndrom betroffen sind.

Zusätzlich empfiehlt sie eine Impfung, wenn die Kinder Angehörige mit einem erhöhten Risiko für eine schwere Erkrankung haben, die selbst nicht geimpft werden können - zum Beispiel Menschen, die nach einer Transplantation Medikamente einnehmen müssen, die ihr Immunsystem unterdrücken.

Kann sich diese Empfehlung noch ändern?

Möglicherweise ja. Thomas Mertens, Stiko-Vorsitzender, erklärte am Freitag, man warte noch auf Daten aus den USA zu möglichen Impf-Nebenwirkungen in der Altersgruppe. In den Vereinigten Staaten werden Jugendliche bereits seit dem Frühjahr geimpft. Wenn diese Daten vorliegen, könne man eine bessere Einschätzung der Risiken und Vorteile vornehmen. Bis dahin sei eine politische Einmischung in eine medizinische Entscheidung nicht hilfreich.

Doch auch bei positiven Rückmeldungen aus den USA sei es nicht sicher, dass die Stiko ihre Meinung ändert, sagte Christine Falk, Immunologin an der Uni Hannover, am Montag im WDR 5 "Morgenecho": "Die sogenannten Real-World-Daten, das sind die Daten, die quasi in Israel, in England, in den USA gesammelt werden, sind eben nicht unter Studienbedingungen durchgeführt worden, sondern werden eben so zurückgemeldet. Und die Stiko macht da einen Unterschied in der Bewertung, wie diese Daten zusammengestellt werden."

Können gesunde Kinder und Jugendliche sich trotzdem jetzt schon impfen lassen?

Ja. Diese Möglichkeit hat die Stiko selbst ausdrücklich erwähnt: Die Impfung sei "nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz des Kindes oder Jugendlichen beziehungsweise der Sorgeberechtigten möglich", heißt es. Allerdings geht das nur bei Haus- und Kinderärzten und vorher muss es ein intensives Beratungsgespräch geben, bei dem auch über die möglichen Risiken aufgeklärt wird - auch wenn diese nach allem, was man weiß, sehr gering sind.

In den Impfzentren werden 12- bis 16-Jährige ohne Vorerkrankungen derzeit noch nicht immunisiert. Die für sie besonders wichtige individuelle Beratung sollte vorerst ausschließlich in Praxen erfolgen, erklärte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Nur gesunde 17-Jährige können auch im Impfzentrum immunisiert werden, außerdem Jüngere mit Vorerkrankungen.

Sind die Arztpraxen vorbereitet?

Nicht alle niedergelassenen Ärzte bieten Impfungen für die Altersgruppe an, auch weil sie den Schwerpunkt zunächst auf ältere Patienten setzen wollen. Mehrere Praxen, die auch Jugendliche impfen, führen außerdem lange Wartelisten. Wegen der ausführlichen Beratungsgespräche ist mit der Impfung von Kindern und Jugendlichen ein hoher Aufwand verbunden, der es zusätzlich erschwert, einen Termin zu bekommen.

Gehen Ärzte ein Risiko ein?

Nein. Ärzte haben bei ordnungsgemäßer Aufklärung, Einwilligung und korrekt durchgeführter Schutzimpfung kein Haftungsrisiko für Impfschäden - auch nicht bei Kindern und Jugendlichen. Nach dem Infektionsschutzgesetz (Paragraf 60) können alle Menschen, die durch die Impfung einen bleibenden Schaden erleiden, einen Versorgungsanspruch gegen den Staat geltend machen.

Ein persönliches Risiko besteht derzeit höchstens durch radikale Impfgegner: Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks hat ein Mediziner aus Neu-Ulm Morddrohungen erhalten, weil er auch Kinder und Jugendliche impft.

Viele Eltern sind verunsichert. Wie kann man ihnen bei der Entscheidung helfen?

Dass die Politik für Kinderimpfungen eintritt, aber die Stiko noch zögert, hat nach Einschätzung der stellvertretenden Sprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Tanja Brunnert, viele Eltern verunsichert. Sie empfiehlt allen ein eingehendes Gespräch mit dem Arzt ihres Vertrauens, um zusammen mit ihren Kindern eine Entscheidung zu treffen.

Seitens der der Politik wünscht sich Brunnert eine klare Ansage, erklärte sie am Sonntag in der "Aktuellen Stunde". "Es würde helfen, wenn ihnen zugesichert wird, dass das Recht auf Beschulung nichts mit dem Impfstatus ihrer Kinder zu tun hat."

Was ist mit kleineren Kindern? Können sie irgendwann auch geimpft werden?

Das ist im Augenblick nicht sicher. Noch fehlt es an Studien, wie Kinder auf den Impfstoff reagieren, ob die Impfung für sie mit einem gesundheitlichem Risiko verbunden ist und auch welche Dosis für sie sicher und wirksam ist. Angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern, sind solche Studien sehr kompliziert und aufwendig.

Doch ohne solche Studien könne man ein eventuelles Risiko kaum einschätzen, erklärte Immuniologin Falk am Montag. "Insofern sind die ganz besonders wichtig."

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