Prof. Christine Falk im Porträt

Immunologin: "Bei den Corona-Zahlen stockt mir der Atem"

Stand: 11.12.2021, 12:46 Uhr

Die Immunologin Christine Falk erklärt im Interview, wie kritisch die Verbereitung der neuen Corona-Variante Omikron ist - und warum Geimpfte und Ungeimpfte zusammenhalten müssen.

Christine Falk ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Sie lehrt und forscht an der Medizinischen Hochschule Hannover. Mit dem WDR sprach sie darüber, was bereits über die neue Variante des Coronavirus bekannt ist und ob das Impfen mit den bislang entwickelten Vakzinen auch gegen Omikron hilft.

WDR: Frau Falk, die neue Coronavirus-Variante Omikron ist ein immer größeres Thema. Was weiß die Wissenschaft inzwischen darüber?

Prof. Dr. Christine Falk: Wir wissen einmal, wie sich Omikron verändert hat, also wo es in seinem Bauplan Veränderungen aufweist. Wir wissen auch, aus Südafrika vor allem, dass es ansteckender ist, weil es schon beginnt, sich gegen die Delta-Variante durchzusetzen. Und es gibt auch jetzt wieder den neuen Bericht, dass es auch in Europa in fast allen Ländern angekommen ist. Daher muss man das sehr wachsam im Auge behalten.

Denn wenn ein Virus es schafft, sich so schnell aus Südafrika in die Welt und nach Europa zu verbreiten, dann kann man nicht nur davon ausgehen, dass es sehr viel ansteckender ist, sondern man muss sich dessen bewusst sein, dass man dann mit seinem eigenen Verhalten noch ein bisschen disziplinierter umgehen muss. Damit man ihm eben nicht erlaubt, sich noch weiter auszubreiten.

WDR: Omikron ist also ansteckender als Delta, ist es auch gefährlicher als alle bisherigen Virusvariante?

Falk: Das ist wieder der Punkt, den wir nicht so genau einschätzen können. Denn in Südafrika gibt es zwar Berichte, dass die Verläufe nicht so schwer sind, aber dort haben sich auch viele Menschen angesteckt, die eigentlich schon geimpft waren. Das ist auch eine Eigenschaft, die dieses Virus mit sich bringt. Wir haben diese Woche gehört, dass Menschen, die geimpft sind - zum Teil zwei oder auch drei Mal - nicht unbedingt davor geschützt sind, sich anzustecken.

Aber im Moment scheint es, ganz vorsichtig gesprochen, so auszusehen, dass der Immunschutz dafür sorgt, dass das Virus keinen großen Schaden anrichten kann im Körper. Aber auch das sind die Dinge, die wir gerade noch beobachten müssen. Deswegen ist über die Frage, wie gefährlich und wie krankmachend diese neue Variante ist, noch nicht ganz so viel Klarheit wie über die Sequenz zum Beispiel. Und deswegen müssen wir sehr genau beobachten.

Aber die Tatsache, dass es möglicherweise trotzdem infizieren kann, weil die Impfung nur die erste Abwehrlinie nicht mehr so ganz gut dieses Virus abhält, ist etwas, was wir im Auge behalten müssen. Die zweite und dritte Abwehrlinie funktioniert dann ja anscheinend ganz gut - so im Moment die Annahme, die wir alle haben -, sodass man das Virus dann ganz gut bekämpfen kann, wenn es den Körper mal erwischt hat.

WDR: Wird Omikron auch nicht die letzte Coronavirus-Variante sein?

Falk: Das hängt sehr davon ab, wie wir in der Welt mit der Frage umgehen, wie die Impfstoffe verteilt sind. Denn bis jetzt war es immer so, dass die Virusvarianten in Ländern aufgetaucht sind, wo sehr viel Virus in der Gesellschaft war. Es ist in Südafrika jetzt auch wieder der Fall gewesen, sodass wir wirklich darauf achten müssen, dass die Welt auch Impfstoff bekommt, der ja wirklich sehr, sehr ungleich verteilt ist. Daher kann man nicht ausschließen, dass es weitere Varianten gibt. Wir sollten als Weltgemeinschaft dringend dafür sorgen, dass die ganze Welt Impfstoff bekommt, damit möglichst wenig neue Varianten die Chance haben, sich zu entwickeln.

Die Grundimmunisierung mit den Impfstoffen, die wir jetzt haben, ist die allerbeste Idee. Immunologin Prof. Christine Falk

WDR: Es gibt Menschen, die geimpft sind und das jetzt hören und die sagen: "Da ist ja so viel im Fluss. Immer neue Varianten, Impfstoffe müssen nachgebessert, angepasst werden. Da warte ich doch lieber jetzt noch mit einer Auffrischungsimpfung, sonst muss ich in sechs Monaten vielleicht ohnehin schon wieder ran". Was empfehlen Sie denen?

Falk: Das ist keine so gute Idee. Und zwar deshalb, weil die Impfstoffe, die wir jetzt haben, eine sehr gute Grundimmunisierung machen. Wir impfen ja mit der Original-Sequenz aus diesem Stachelprotein, das Spike-Protein. Und da sind die größten Bestandteile nach wie vor identisch auch bis zur Omikron-Variante. Das heißt gegen alle diese schönen Regionen von diesem großen Spike-Protein bilden wir Antikörper nach der Impfung. Das kann man sehr gut messen. Und die meisten dieser Antikörper sind auch noch aktiv.

Also ist die Grundimmunisierung mit den Impfstoffen, die wir jetzt haben, die allerbeste Idee. Das kann sein, dass wir da noch mal eins draufsetzen nächstes Jahr. Wenn die angepassten Impfstoffe da sind, dann können wir auch verhindern, dass Menschen sich anstecken, weil wir dann auch gegen die Regionen, die sich verändert haben, neue Antikörper bilden.

Aber die Antikörper, die wir jetzt haben, sind ja trotzdem sehr aktiv. Vor allem die T-Zellen, die sozusagen dann noch die dritte Abwehrlinie sind. Wenn eine Zelle mal infiziert ist, werden die T-Zellen auf den Plan gerufen, also ist aus diesem Grund die Grundimmunisierung mit den aktuellen Impfstoffen, die allerbeste Idee. Das sollte man bitte tun. Gerade wenn man noch nicht geimpft ist, weil wenn man das jetzt so sieht, wie Omikron sich verhält, muss man davon ausgehen, dass spätestens Omikron einen dann erwischt und das kann man sich echt ersparen, indem man sich impfen lässt.

WDR: Es scheint einen Anteil von vielleicht 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland zu geben, die sich partout nicht impfen lassen wollen. Wie wird sich das Ansteckungs- und Erkrankungsrisiko für diese Gruppe in den nächsten Wochen und Monaten entwickelt?

Falk: Es ist hier schon sehr hoch. Wir haben gestern wieder gesehen, wir haben 50.000 Neuinfektionen pro Tag. Da stockt mir immer schon der Atem. Dann denke ich immer: Okay, 50.000 Neuinfektionen könnten bis zu 5.000 Long-Covid-Fälle werden. Und das Risiko der nicht geimpften Menschen wird einfach größer, weil das Virus, sehr viel in der Gesellschaft ist. Das sehen wir an den hohen Zahlen. Man kann sich dem Virus fast nicht mehr entziehen.

Wir haben ja dringend jetzt die Maßnahmen, um Kontakte zu reduzieren, um sich vernünftig zu verhalten. Das ist für uns alle ganz wichtig, aber ganz besonders für die Ungeimpften, weil wenn sie Viruskontakt haben, ist es wirklich irgendwie beim Fußball eine Elfmetersituation ohne Torwart. Dann schlägt das Virus gnadenlos zu und kann die Menschen einfach infizieren.

Das Risiko ist schon hoch, und es wird auch nicht geringer, solange wir solche hohen Zahlen haben. Deswegen sollten wir alle gemeinsam, Geimpfte und Ungeimpfte, dafür sorgen, dass wir die Zahlen bitte nach unten kriegen. Das ist ganz, ganz wichtig, gerade jetzt, zum Jahresende zu Weihnachten und zu Silvester, sollten wir das gemeinsam versuchen, vernünftig zu sein.

Das Interview führte Thomas Schaaf

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