Impfquote stagniert: Hilft nur noch Zwang?

Stand: 05.09.2021, 20:18 Uhr

Die Infektionszahlen steigen, die Impfquote stagniert nahezu: Nun warnt Virologe Christian Drosten vor vollen Intensivstationen im Winter. Ist die relativ liberale deutsche Corona-Politik krachend gescheitert?

Die Zahlen sind deprimierend: Am Samstag meldet das Robert Koch-Institut (RKI) 10.835 neue Corona-Fälle und eine Sieben-Tages-Inzidenz von 80,7 – Tendenz steigend, mitten im Spätsommer. Die Hoffnung, dass Deutschland unbeschadet durch den Herbst und Winter kommt, sie sinkt von Tag zu Tag.

Denn trotz aller verzweifelten Appelle aus Politik und Wissenschaft: Deutschland wird seine Impfziele aller Voraussicht nach nicht erreichen. Am Samstag meldete das Bundesgesundheitsministerium eine Impfquote von gerade mal 61 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Virologe Drosten vermutet Gleichgültigkeit

Im August nahm die Impfquote nur noch um rund zehn Prozentpunkte zu – trotz der sich bereits abzeichnenden vierten Welle. Viel zu wenig, sagt der Berliner Virologe Christian Drosten. Nach dem jüngsten Wochenbericht des RKI haben in der Bevölkerung über 60 Jahre 83 Prozent den vollen Impfschutz. Bei den Erwachsenen zwischen 18 und 60 Jahren sind es 65 Prozent. Um volle Intensivstationen in der kalten Jahreszeit zu verhindern, wäre eine Quote von 85 Prozent bei den 18- bis 60-Jährigen und 90 Prozent bei den Über-60-Jährigen nötig.

Warum kommt Deutschlands Impfkampagne nicht voran? "Ich würde nur ganz wenigen nicht geimpften Personen im Moment unterstellen, dass die jetzt vollkommen verrückte Geschichten glauben", sagte Drosten in seinem Podcast "Das Coronavirus-Update" von NDR Info. Er vermute bei der Mehrzahl eher "eine gewisse Gleichgültigkeit".

Hilft nur eine Impfpflicht?

Es sei eher unwahrscheinlich, dass Deutschland über Ansprache der Bevölkerung noch viel bewirken könne, sagte Drosten. "Und darum glaube ich, dass die Politik eine schwere Aufgabe vor sich hat und konsequent auch Entscheidungen treffen muss."

Bundesärztekammer-Präsident für sanften Druck

Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt sagte am Sonntag in der "Aktuellen Stunde" auf die Frage, ob jetzt nur noch eine Geldprämie oder sanfter Druck Impfunwillige zu einer Änderung ihrer Haltung bewegen könne: "Ich glaube, beides ist zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll. Ich finde diese unkonventionellen, niedrigschwellenden Impfangebote gut. Ich habe mich oft dafür ausgesprochen, zum Beispiel dass man die Karte für ein Fußball-Heimspiel umsonst bekommt, wenn man das Impfmobil vorher aufgesucht und dieses Angebot wahrgenommen hat."

Zu möglichen Einschränkungen für Ungeimpfte sagte er: "Da bin ich sicher, dass das bei uns peu à peu kommen wird, jedenfalls dann, wenn die Infektionszahlen hoch bleiben und wir an anderen Stellen Schwierigkeiten bekommen, zum Beispiel, wenn unter Umständen unser Gesundheitswesen wieder stärker in Anspruch genommen werden sollte."

In Deutschland gibt es zurzeit noch relativ wenige Einschränkungen für Ungeimpfte. Eine Impfpflicht hat die Bundesregierung bereits ausgeschlossen. In anderen EU-Ländern geht es weniger liberal zu. Eine Auswahl.

Italien setzt auf Pflicht

Sie soll kommen, die Corona-Impfpflicht in Italien. Angesichts einer ebenfalls stagnierenden Impfquote von rund 61 Prozent hat die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi nun Zwangsmaßnahmen angekündigt. Bereits seit Mai gilt in Italien Impfpflicht für das Personal im medizinischen Bereich.

Zusätzlich wächst der Druck auf Ungeimpfte. Der "Grüne Pass", ein digitales Impfzertifikat, muss unter anderem bei Flugreisen, Zug- und Busfahrten verbindlich mitgeführt werden. Bald soll er auch in weiteren Bereichen des öffentlichen Lebens zur Pflicht werden.

Frankreich: Einschränkungen für Ungeimpfte

Trotz aller Proteste von Corona-Skeptikern: Frankreich macht die Impfung für immer mehr Bereiche des öffentlichen Lebens zur Pflicht. Derzeit liegt die Impfquote noch bei 61 Prozent - seitdem die Regierung immer mehr Einschränkungen für Ungeimpfte durchsetzt, ist die Zahl rasant gestiegen.

Spanien: Impftermin per Post

Spanien muss weder gegen Impfmüdigkeit noch gegen allzu viele Skeptiker kämpfen: Nach einer aktuellen Erhebung des staatlichen Umfrageinstituts CIS lehnen nur 2,6 Prozent der Bevölkerung eine Impfung völlig ab. Bereits jetzt sind 72,6 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft.

Mitarbeiter des Krankenhauses in Txagorritxu protestieren vor dem Krankenhaus und fordern mehr Schutzausrüstung.

Spanien wurde besonders hart von Corona getroffen - 85.000 Menschen starben.

Allzu strenge Zwangsmaßnahmen, um Menschen zur Impfung zu bewegen, sind in Spanien nicht nötig: Das Land war seit Beginn der Pandemie eines der am am stärksten betroffenen Länder Europas: Rund 85.000 Menschen starben mit oder an der Krankheit. Das sieht auch Virologe Drosten als einen Faktor für eine höhere Impfbereitschaft. Die Menschen in Spanien hätten eine "schreckliche gesamtgesellschaftliche Erfahrung" mit vielen Toten und einem richtigen Lockdown hinter sich. Außerdem erhielten alle Spanier einen Impftermin per Post - ungefragt.

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