Statt Corona-Inzidenz: Bald schaut alles auf die Hospitalisierungsrate

Stand: 08.09.2021, 14:32 Uhr

Es ist beschlossen: Die Länder werden in Zukunft bei Lockerungen oder Verschärfungen der Corona-Regeln vor allem auf die Belastung der Krankenhäuser achten. Was bedeutet das konkret?

Der Abschied von der Inzidenz als zentralen Richtwert für die Einschätzung der Corona-Lage war schon sehr lange im Gespräch - jetzt hat die Bundesregierung den Weg frei gemacht. Am Dienstag beschloss der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor der Wahl, dass in Zukunft die Pandemielage vor allem durch die "Hospitalisierungsrate" eingeschätzt wird. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff? Und wie wird sich unser Alltag in den kommenden Wochen und Monaten dadurch verändern? Fragen und Antworten.

Was genau bedeutet Hospitalisierungsrate?

Die Hospitalisierungsrate (oder auch Hospitalisierungsinzidenz) beschreibt, wie viele Corona-Patienten je 100.000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen ins Krankenhaus mussten. Diese Zahl wird in Zukunft für jedes einzelne Bundesland errechnet. So ist es für die Landesregierungen möglich, die aktuelle Belastung des Gesundheitssystems relativ genau abzuschätzen und eventuell mit schärferen Corona-Regeln zu reagieren.

Ein Beispiel: Das Robert Koch-Institut (RKI) gab am Mittwoch die bundesweite Hospitalisierungsrate mit 1,79 an: Das bedeutet übersetzt, dass innerhalb von sieben Tagen durchschnittlich 1,79 Patienten pro 100.000 Einwohnern mit einer Corona-Infektion in deutschen Krankenhäusern eingeliefert wurden.

Neben den Krankenhauseinweisungen sollen aber nach dem Beschluss des Bundestages auch weitere Indikatoren bei der Bewertung des Infektionsgeschehens berücksichtigt werden. Beispiele sind die nach Altersgruppen differenzierte Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen, die verfügbaren freien Betten auf Intensivstationen und die Zahl der Geimpften.

Gibt es jetzt also bundeseinheitliche Regeln?

Nein. Den Bundesländern steht es frei, die verschiedenen Indikatoren nach eigenem Ermessen zu gewichten. Die einzelnen Landesregierungen können unter Berücksichtigung der jeweiligen Kapazitäten in den Kliniken eigene Schwellenwerte festlegen, ab denen sie ihre Corona-Regeln lockern oder verschärfen.

Spielt die Sieben-Tage-Inzidenz überhaupt keine Rolle mehr?

Doch, aber keine zentrale. Die Bundesregierung begründet die Abkehr von der bisher so wichtigen Kennzahl damit, dass sie die Sieben-Tage-Inzidenz seit der dritten Welle im Frühjahr dieses Jahres ihre Aussagekraft über die Pandemielage weitgehend verloren hat. Schnellt die Inzidenz in die Höhe wie zurzeit, sterben nicht automatisch kurz darauf viel mehr Menschen im Zusammenhang mit Covid-19. Grund ist der Fortschritt bei der Impfkampagne.

Was gilt künftig in NRW?

Details sind noch nicht bekannt. Im Gesundheitsministerium wird zurzeit an einer neuen Corona-Schutzverordnung gearbeitet. Wann genau sie veröffentlicht wird, ist unklar. Die aktuelle Verordnung ist noch bis zum 17. September gültig, eine Neufassung könnte aber auch früher kommen. Möglicherweise legt das Land darin eigene Schwellenwerte fest, nach denen Lockerungen oder Verschärfungen nötig werden.

In Kürze will das Land NRW täglich die aktuellen Zahlen zu der Situation in den Kliniken veröffentlichen.

Gibt es Kritik an den neuen Indikatoren?

Ja. Auch wenn die Aussagekraft der Sieben-Tage-Inzidenz im Verlauf der Corona-Krise merklich nachgelassen hat - sie hatte auch einen wichtigen Vorteil: Sie war klar, unbestechlich und ermöglichte einen direkten Vergleich zwischen verschiedenen Regionen und auch verschiedenen Bundesländern. Das wird in Zukunft nicht mehr so einfach sein.

Zu den prominenten Befürwortern der Sieben-Tage-Inzidenz zählte auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach: "Wir verlieren die Kontrolle über die Fallzahlen", warnte Lauterbach kürzlich im WDR.

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