Lockerung des Datenschutzes für bessere Pandemiebekämpfung?

Stand: 16.11.2020, 12:37 Uhr

Vieles könnte in der Corona-Epidemie entspannter sein, wenn wir genau wüssten, wer sich wann und wo infiziert hat. Eine Forderung: Datenschutz lockern. Das sorgt für Kritik.

Die Corona-Maßnahmen schränken uns immer mehr ein: Derzeit verzichten die meisten Menschen in Deutschland auf Feiern, Freunde trifft man eher draußen oder gar nicht mehr, Senioren leben abgeschirmt in Pflegeheimen, Menschen verlieren ihre Jobs. Mit Blick auf die Infektionslage droht Deutschland möglicherweise ein harter "Lockdown".

Dass wir in einem "Lockdown" sind, wenn auch in der "light"-Version, ist für den Politikwissenschaftler Maximilian Mayer der Beweis, dass die deutsche Pandemie-Strategie gescheitert ist. Mayer war im Pool der Wissenschaftler, die zu Beginn der Pandemie das Bundesinnenministerium beraten haben. Er sagt: Wir könnten Corona erfolgreicher bekämpfen, wenn wir bereit wären, den Datenschutz an bestimmten Stellen vorübergehend zu lockern.

Politikwissenschaftler: Grundrechtsfragen sind Abwägungsfragen

"Alle Grundrechtsfragen sind Abwägungsfragen. Im Moment sind wir viel zu sehr auf der Datenschutzseite, weniger auf der Seite von Viren- und Gesundheitsschutz", sagte Mayer in der "Aktuellen Stunde" des WDR. "Das ist nicht nur eine Gesundheitsfrage, sondern auch eine wirtschaftliche Frage, weil wir schränken de facto auch andere Grundrechte massiv ein. Muss man Angst haben, dass man in einem autoritären Staat landet? Nein, das ist Unsinn.“

Mayer verweist auf asiatische Demokratien wie Südkorea und Taiwan, die bislang ohne "Lockdown" durch die Pandemie gekommen sind. Sie haben vom ersten Tag an schnell und konsequent Kontakte nachverfolgt - auch digital - und die Quarantäne konsequent durchgesetzt. In Taiwan z. B. ist gesetzlich klar eingeschränkt, was man mit diesen Daten machen darf. "Dort werden Reisedaten und Bewegungsdaten erhoben, aber nur für den Zweck der Kontaktnachverfolgung und sie werden nach sechs Monaten gelöscht", so Mayer.

Deutschland könnte das ähnlich handhaben oder sogar noch weitergehen: "Wir könnten sagen, die Gesetzgebung, die wir jetzt einfügen, die verfällt automatisch nach einem Jahr."

Was Mayer nicht erwähnte: Südkorea überwacht die Menschen auch mit Kameras und über deren Kontobewegungen, um Infektionen nachzuverfolgen - das wäre in Deutschland undenkbar.

Corona-App: Tracking anstatt Tracing?

Als Beispiel für seine Forderung nannte Mayer die deutsche Corona-Warn-App: Viele Kritiker sagen, man habe bei der Anwendung zu viel Wert auf den Datenschutz gelegt, so der Politikwissenschaftler. Daher helfe sie in der aktuellen Krise wenig. Sie müsse eine Tracking-Funktion haben - also genau speichern, wer wen wann und wo trifft. Dies würde den überlasteten Gesundheitsämtern helfen.

Datenschützer wollten Tracking vermeiden, um die Akzeptanz der App nicht zu gefährden, so Mayer. Derzeit arbeitet die App nur mit Tracing: Sie merkt sich, dass es zu einer Begegnung gekommen ist, aber völlig anonym.

Staatliche Institutionen greifen bereits auf sensible Daten zurück

Kritiker wie der ehemalige Kultur-Staatsminister Julian Nida-Rümelin argumentieren, dass die Menschen dem Staat bereits in anderen Bereichen sensible Daten überlassen würden, etwa den Finanzämtern oder den Krankenkassen.

In der "Aktuellen Stunde" sagte er: "Wir sind mit der aktuellen Strategie gescheitert. Wir können nicht so weitermachen." Zudem vertrauen viele Menschen Diensten von Google, Facebook, Apple und Co. schon jetzt ihre Daten an.

Netzaktivistin warnt vor staatlicher Daten-Sammelei

Dieses Argument will Netzaktivistin und Autorin Katharina Nocun aber nicht gelten lassen. "Es ist ein großer Unterschied, ob wir darüber sprechen, dass etwa ein Konzern weiß, mit wem ich mich am Nachmittag zum Kaffee treffe, oder ob der Staat diese Information von allen Bürgern in diesem Land hat", sagte Nocun in der "Aktuellen Stunde".

"Ich glaube, wir würden der Pandemiebekämpfung ein Bein stellen, weil die Akzeptanz für diese Maßnahmen in der Bevölkerung eventuell sinken würde."

Auch Linken-Politikerin warnt vor Verlust von Akzeptanz

Anke Domscheit-Berg

Anke Domscheit-Berg (Linke)

So sieht es auch die netzpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Anke Domscheit-Berg. Die bereits hohe Akzeptanz der App lasse sich nicht dadurch steigern, dass nun beim Datenschutz Abstriche gemacht würden.

All jene potenziellen Nutzer, die man mit der App noch erreichen könnte, "die kriegen wir ganz sicher nicht, wenn wir jetzt sagen: Wir senken den Datenschutz", sagte Domscheit-Berg am Dienstag im WDR-Podcast "Cosmo Tech". Die Gefahr sei eher, dass jetzige Nutzer die App wieder löschen. "Das können wir uns nicht leisten."

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