Man könnte meinen, unter Coronabedingungen sei Weihnachten unkomplizierter als sonst: Weniger Leute, weniger Vorbereitungen, weniger Stress. Doch das ist nicht so. Kompliziert wird es spätestens, wenn die Entscheidung fallen muss, wer überhaupt unterm Weihnachtsbaum zusammenkommt und wer nicht dabei sein darf.
Mit ein bisschen Feingefühl und kluger Kommunikation lassen sich Enttäuschungen oder Zank aber vermeiden, sagen Experten.
Wie erklären wir den Eltern, dass wir sie nicht besuchen kommen?
Ehrlich sein, rät Sabine Ridder, Fachärztin für Psychotherapie und Psychosomatik der LWL-Klinik Lengerich. Keine Ausreden finden, sondern klar sagen: "Uns ist das zu riskant, wir möchten Dich schützen!" Auch sagen, dass man sich selber als Risikoträger sieht.
Und wenn die Eltern selber das Familientreffen absagen?
Auch das kann bei den erwachsenen Kindern wider besseren Wissens ganz schön für Enttäuschung sorgen. Vielleicht lassen sich gemeinsam Alternativen finden, auf die man sich schon freuen kann, sagt Ridder. Zum Beispiel ein Familientreffen im Frühjahr oder Sommer, wo man sich im Freien treffen kann, wo die Kinder mehr Freiraum haben und die ganze Situation vielleicht sogar viel entspannter sein wird als sonst im engen Wohnzimmer.
Im besten Fall könne daraus etwas ganz Neues, vielleicht sogar eine neue Tradition entstehen, sagt Anne Milek, Juniorprofessorin für Paar- und Familienpsychologie an der Universität Münster: Wenn man sich nämlich klar macht, was einem eigentlich die wichtigsten Aspekte am weihnachtlichen Familientreffen sind. Und dann gemeinsam überlegt, ob man diese Erlebnisse nicht auch zu einem anderen Zeitpunkt haben kann.
Oma und Opa sind zwar eingeplant, aber Umarmungen nicht
Alle besonderen Regeln - wie Abstand halten oder auch das regelmäßige Lüften - vorher genau besprechen, rät Klinikärztin Ridder, dann fühlt sich niemand brüskiert. Erklären: "Diesmal ist alles anders, aber das macht es uns einfacher", und immer wieder klar machen, worum es geht: "Wir wollen Euch schützen!" Bei sich selbst bleiben, sagt Ridder, nicht die Coronagesetze als Grund nennen.
Beim festlichen Essen rückt die Tante damit raus, dass sie das ganze Corona-Thema für inszeniert hält. Die Stimmung droht, zu kippen, Was tun?
Dafür gibt es kein Patentrezept. "Es ist immer gut, in Ruhe zuzuhören", sagt Familienpsychologin Anne Milek: "Interessiert nachfragen, ohne zu bewerten, nach den Quellen fragen." Ob solche Gespräch ausgerechnet beim Weihnachsbraten sein müssen, sollte man sich aber überlegen, meint sie.
Eigentlich war es nie leichter, den großen Weihnachtsrummel abzusagen, als in diesem Jahr. Warum fühlen sich trotzdem viele besonders gestresst?
Weihnachten als Familienfest empfinden ohnehin viele Menschen als Stress, weil es mit großen Emotionen verbunden ist, erklärt Psychotherapeutin Sabine Ridder: Konflikte in der Familiengeschichte, Schuldgefühle - all das kocht Weihnachten oft hoch. "Und Abgrenzung ist für die meisten Menschen ein ganz schwieriges Thema".
In diesem Jahr kommen noch andere emotionale Belastungen dazu: "Was wird aus meinem Job, bleibt die Familie gesund?". Kommt dann noch Alkohol ins Spiel, können die Emotionen schnell aus dem Ruder laufen.
Generell seien wir in diesem Jahr an Weihnachten gut beraten, beim Alkohol zurückhaltend zu sein, rät Ridder - ob bei Corona-Diskussionen oder im Umgang miteinander.
Und Anne Milek empfiehlt, auch hier aus der außergewöhnlichen Situation einen Gewinn für die Zukunft zu ziehen: "Vielleicht gibt es jetzt die Chance, mal offen zu sagen, dass man sich eigentlich jedes Jahr unwohl fühlt beim Familientreffen, sei es bei der eigenen oder bei der Schwiegerfamilie." Um dann gemeinsam, auch als Paar, nach Alternativen fürs nächste Jahr zu suchen, die mit weniger Stress verbunden sind.
Das Coronajahr biete die Möglichkeit, Familienstress mal "zu entschlacken", sagt Milek, alternative Abläufe zu finden und mal zu testen: "Wie fühlt sich das an?"