"Doppeltes Mutationsproblem": Coronavirus gibt mehr Gas, die Lebenslust auch

Stand: 15.04.2021, 14:01 Uhr

Viel testen, vor allem impfen. Auch Eigenverantwortung darf nicht fehlen. Und trotzdem geht es nicht ohne Notbremse und Ausgangssperre? Um die Wege aus der Pandemie gibt es viel Streit.

Im März hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt, der Frühling 2021 werde "anders sein als der Frühling vor einem Jahr". Das liege vor allem an "zwei Helfern, die wir gegen das Virus haben": Impfen und Testen. Doch sowohl beim Impfen gibt es Probleme, wie zum Beispiel bei den Vakzinen von Johnson & Johnson und von Astrazeneca, als auch beim Testen in NRW.

Lockdown komplett ohne Erfolgserlebnis

Dass die Situation längst nicht mehr so ist wie vor einem Jahr, hat am Donnerstag auch Stephan Grünewald, Psychologe und Gründer des Rheingold-Instituts in Köln, im WDR gesagt. Allerdings sagte er das eher als Warnung. "Die Menschen sind in einer zunehmenden Zermürbtheit - seit über vier Monaten befinden wir uns im Lockdown und uns fehlt komplett das Erfolgserlebnis", so Grünewald. Dass die Zahlen trotz der Beschränkungen nach oben gingen, sei frustrierend.

Psychologe: "Verhalten ist längst nicht mehr so achtsam, vorsichtig"

"Wir haben ein doppeltes Mutationsproblem", sagt Grünewald. "Das Virus mutiert, aber auch das Verhalten der Bürger ist längst nicht mehr so achtsam, vorsichtig wie im letzten Jahr." Es gebe einen neuen Lebenshunger, man treffe sich wieder mit mehr Leuten, umarme enge Freunde. "Wo Lockdown drauf steht, ist schon längst nicht mehr Lockdown drin."

Die Menschen hätten mittlerweile das Gefühl, irgendetwas müsse jetzt passieren. Das ständige Lavieren und Abwarten zermürbe und viele wünschten sich jetzt für zwei Wochen einen entschiedenen Lockdown.

Scholz: "Man will sich an die Regeln halten"

Einen Zeitpunkt der Erlösung für die Bürger sieht Vizekanzler Olaf Scholz in der nächsten Woche, wenn das neue Infektionsschutzgesetz im Bundestag beschlossen werde. Erlösung von der verwirrenden Debatte, dass jede Stunde irgendwer irgendetwas Neues sagt. "Man will sich an die Regeln halten, ist mein Eindruck - man möchte sie aber auch kennen", so Scholz im ARD-Morgenmagazin.

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Scholz: "Ausgangsbeschränkung ist verhältnismäßig"

Eine Regel ist etwa eine Ausgangsbeschränkung, bundesweit einheitlich. Das hätte überall geholfen: "Es ist in vielen Staaten der Welt gemacht worden und es hat die Inzidenz nach unten gebracht." Greifen soll sie ab einer Inzidenz von 100 und sie sei "verhältnismäßig", stellt der Jurist Scholz fest. Man könne ja weiter zur Arbeit fahren und beispielsweise kranke Angehörige besuchen.

Bringt ein harter Lockdown überhaupt was?

Genau das ist das Problem für den Psychologen Grünewald, der auch im Corona-Expertenrat von NRW sitzt. Da sich die Menschen entweder in Betrieben oder in privaten Zusammenkünften infizieren würden, sei es fraglich, ob dies durch einen harten Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen verhindert werden könne.

Er schlägt eher eine schrittweise Lockerung zum Beispiel in der Außengastronomie vor, um "dieses anarchische Geschehen, was sich im Moment zum Teil in den privaten Bereichen vollzieht, das wieder zu kanalisieren und zu kontrollieren."

Stamp: "Testen ist wichtiger als Ausgangssperren"

Für eindeutig falsch hält NRW-Vizeministerpräsident Joachim Stamp (FDP) die Ausgangssperren. Weil Aerosolforscher es für schädlich hielten und Staatsrechtler für verfassungswidrig, sagte Stamp am Montag im WDR 5 Morgenecho. Viel wichtiger seien die kostenlosen Tests. "Jeder einzelne, der keine Symptome hat, aber sich angesteckt hat und in Quarantäne ist, schützt die Gesellschaft", so Stamp.

"Es ist naiv zu glauben, das Virus wegtesten zu können", sagt der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler. Kritisch sieht er auch die geplante "Bundesnotbremse" mit Maßnahmen ab gewissen Infektionswerten: "Stellen Sie sich vor, Sie fahren über enge Straßen in den Dolomiten. Es ist kurvenreich und an einer Seite ist ein steiler Abhang. Jeder weiß, in diese Kurve kann ich nur mit 30 fahren. Wenn ich hier mit einer Geschwindigkeit von 100 reinfahre, dann ist das lebensgefährlich. Man kommt nämlich von der Straße ab. Und ehrlich gesagt hilft dann auch keine Notbremse mehr."

Spahn: "Jeder Tag zählt"

Es liegt am Ende an den Städten und Landkreisen, ihre Temposchilder anzupassen oder neue aufzustellen - und an den Teilnehmern auf den Straßen des öffentlichen Lebens, die Regeln zu beherzigen.

"Jeder Tag zählt gerade in dieser schwierigen Lage", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Jetzt müssten Kontakte umgehend weiter eingeschränkt werden. Das fordert auch RKI-Präsident Wieler: "Die Lage in den Krankenhäusern spitzt sich teilweise dramatisch zu."

"Wir müssen noch ein paar Wochen etwas machen, dann haben wir es geschafft", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, Christian Karagiannidis, im WDR mit Blick auf die Impfkampagne. Intensivmediziner seien schon zufrieden, wenn die Über-50-Jährigen geimpft seien. Dann gebe es eine spürbare Entlastung. "Wir sind in der 90. Minute, wir sollten das Spiel nicht in der Nachspielzeit verlieren."

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