Mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland ist bisher vollständig geimpft. Doch die Impfbereitschaft sinkt. Einige Bundesländer planen, tausende Impfdosen an den Bund zurückgeben. Auch das NRW-Gesundheitsministerium prüft eine Rückgabe. Die Frage ist also: Wie kann die Impfkampagne wieder mehr Fahrt aufnehmen?
Die Antworten bei einer WDR-Straßenumfrage in Münster fallen am Freitag ganz unterschiedlich aus. "Impfen? Auf gar keinen Fall!", sagt ein Mann. "Da verrecke ich lieber so - nicht mal für eine Million würde ich das machen!" Ein anderer Passant ist Impfanreizen nicht abgeneigt: "Mit Fuerteventura könnten sie einen locken, aber nicht mit 100 Euro - ich warte noch." Auch eine Frau findet, Reisen oder Gutscheine seien als Angebot "gar nicht so verkehrt".
Biden setzt auf Belohnung
US-Präsident Joe Biden setzt ebenfalls auf Belohnung. Um die Impfquote in der Bevölkerung anzuheben, fordert er Bundesstaaten und Kommunen in den USA auf, Neugeimpften eine Prämie von 100 Dollar (85 Euro) zu zahlen.
Für finanzielle Anreize ist auch die Ökonomie-Professorin Nora Szech vom Corona-Experten-Kreis der Helmholtz-Gemeinschaft. Sie hat kürzlich eine Studie zu Anreizen für Impfungen veröffentlicht. Mit dem Angebot von 100 Euro für Impfwillige kann demnach die Impfbereitschaft um zehn Prozent von 70 auf 80 Prozent unter den Erwachsenen steigern.
Belohnung von 500 Euro für Impfwillige gefordert
Da das RKI jedoch eine noch höhere Impfquote anstrebt, plädiert Szech mittlerweile für 500 Euro. "Da zeigen unsere Daten, wir kommen Richtung 90 Prozent Impfbereitschaft", sagte sie am Mittwoch im WDR5-"Morgenecho". Das Ifo-Institut schätze den sozialen Wert pro Impfung auf 1.500 Euro, weil weniger Krankheitsfälle die Volkswirtschaft auch weniger belasten. "Da können wir den Leuten ruhig 500 Euro davon abgeben." Diesen Betrag sollen laut Szech auch jene erhalten, die bereits geimpft sind. "Damit es fair ist."
Wie groß die Chancen für eine Umsetzung des Vorschlags sind, ist allerdings fraglich. Auf den Staat kämen Ausgaben in Milliardenhöhe zu, die bei künftigen Auffrischungsimpfungen noch steigen könnten.
Falls jedoch nur die bisher Impfunwilligen Geld erhalten sollten, droht Unzufriedenheit bei den bereits Geimpften - wie sich bei der WDR-Straßenumfrage in Münster gezeigt hat. "Auf keinen Fall Geld zahlen oder irgendwas, da wird das ja dann noch belohnt", sagte eine Frau, die es "sehr ungerecht" fände, falls einige bevorzugt werden sollten. "Die boykottieren die Impfung - und auf der anderen Seite werden sie nachher dafür belohnt mit Geld."
Biden setzt auch auf Impfpflicht
Neben finanziellen Anreizen setzt US-Präsident Biden allerdings auch auf Druck: Bundesangestellte müssen eine vollständige Impfung nachweisen oder dauerhaft Maske tragen und sich testen lassen. Er unterstützt zudem Firmen, die eine Impfpflicht für ihre Mitarbeiter verhängen wollen. Am Mittwoch hatten zum Beispiel Google und Facebook eine Impfpflicht angekündigt.
Deutsche Arbeitgeber können keine Impfung verlangen
Sind solche Impfpflichten auch in Deutschland möglich? Nein, das sei nach dem geltenden Arbeitsrecht kaum vorstellbar, sagte Christoph Kehlbach von der ARD-Rechtsredaktion am Donnerstag in den "Tagesthemen". Der Arbeitgeber könne zwar seinen Beschäftigten Weisungen erteilen. Ausgenommen davon seien aber so private Bereiche wie die persönliche Impfentscheidung.
Auch Nachteile für Nicht-Geimpfte in Firmen seien grundsätzlich ausgeschlossen, sagte Kehlbach. Nach dem gesetzlichen "Maßregelverbot" dürften Arbeitnehmer, die ihre zulässigen Rechte ausüben, nicht benachteiligt werden. "Das gilt, solange es keine staatliche Impfpflicht gibt."
Was ist mit einer begrenzten Impfpflicht?
Um die Impfquote zu steigern, ist am Montag in Frankreich eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen auf den Weg gebracht worden. Das Gesetz gilt für das Gesundheitspersonal und Rettungskräfte. Impfverweigerern in diesen Berufen droht eine befristete Freistellung ohne Lohnfortzahlung.
Wäre eine solche begrenzte Impfpflicht auch für Deutschland denkbar? Immerhin gibt es hierzulande seit März 2020 eine Masern-Impfpflicht für bestimmte wenige Berufsgruppen. Diese Frage sei noch nicht geklärt, so ARD-Rechtsexperte Kehlbach. Es gebe Verfassungsbeschwerden gegen die Masern-Impfpflicht, die vom Bundesverfassungsgericht noch entschieden werden müssten. Noch handele es sich dabei um rechtliches Neuland.
Hoher Schutz durch Impfung
Eine einfache Antwort auf die Frage, wie der Impfschutz der Bevölkerung möglichst schnell und umfassend erhöht werden kann, gibt es also nicht. Aber möglicherweise überzeugt manche ja auch ein Blick in die Statistik. Wer sich impfen lässt, hat einen sehr hohen Schutz vor einer Corona-Erkrankung. Er liegt trotz neuer Virusvarianten im Schnitt bei fast 90 Prozent.