Gas-Krise: Wie viel kann die Industrie tatsächlich sparen?

Stand: 03.07.2022, 16:15 Uhr

Der Notfallplan von Wirtschaftsminister Habeck sieht vor, dass überall Gas gespart werden muss - auch in der Industrie. Aber wie hoch ist das Einsparungspotenzial?

Noch zwölf Wochen bis zum Beginn der Heizperiode, und die Gasspeicher müssen noch deutlich voller werden, als sie aktuell sind. Sollte das Gas knapp werden, zum Beispiel weil die russischen Gaslieferungen komplett ausfallen, müsste der Gasverbrauch rationiert werden - damit das nicht passiert, soll Gas gespart werden, vor allem in der Industrie. Was ist da überhaupt möglich? Ein Überblick.

Wie viel Erdgas braucht die Industrie?

Die deutsche Industrie hat laut dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) am deutschen Gasverbrauch einen Anteil von 37 Prozent. Weitere 31 Prozent werden von privaten Haushalten genutzt. 13 Prozent des Erdgases für Deutschland wird für Gewerbe, Handel und Dienstleistungen genutzt. Der Rest verteilt sich auf Stromerzeugung, Fernwärmeversorgung und Verkehr.

Welche Industrie ist besonders betroffen?

Das ist von Branche zu Branche sehr unterschiedlich. Laut Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) entfällt etwa ein Viertel des gesamten Energieverbrauchs mit Gas in der Industrie auf die Grundstoffchemie. Das ist mit Abstand der größte Verbraucherzweig.

Dazu kommen außerdem die Nahrungsmittelindustrie, die Papierindustrie, die Metallerzeugung und die Glas- und Keramikherstellung. Diese Branchen würde es besonders treffen, wenn die Gaslieferungen eingestellt würden.

Wofür wird das Gas genutzt?

Wichtig ist auch zu sehen, wofür das Gas in den jeweiligen Branchen genutzt wird. In den Bereichen, in denen Gas als Energielieferant genutzt wird, könnten Prozesse teilweise auch mit Öl und Kohle weiterlaufen, aber es gibt in der Industrie auch den nicht-energetischen Verbauch an Erdgas.

In der Grundstoffchemie beispielsweise werden laut Verband der Chemischen Industrie 30 Prozent des genutzten Erdgases als Rohstoff verwendet. Auch in der Metallindustrie ist Gas für die Herstellung von Stahl als Rohstoff notwendig.

In der Metall- und Glasherstellung müssen Produktionsanlagen permanent mit Gas befeuert werden, um Schäden zu vermeiden. Eine Umstellung auf Kohle oder Öl komme nach Angaben des Dachverbandes Gesamtmetall aufgrund von Umweltauflagen nicht in Frage oder wäre sehr teuer.

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Wie viel Erdgas könnte die Industrie einsparen?

Der BDEW hat bereits im März analysiert, wie viel Erdgas in Deutschland potenziell eingespart oder durch andere Energielieferanten ersetzt werden könnte. Die Kraftwerke in Deutschland, die sowohl für die öffentliche Versorgung als auch in der Industrie eingesetzt werden, könnten demnach 36 Prozent ihres Gasbedarfs einsparen. Dafür wäre es aber unter anderem notwendig, von Gas- auf Ölbetrieb umzustellen.

Schwieriger wird es bei weiteren Erdgasanwendungen in der Industrie in Deutschland. Das kurzfristige Substitutions- und Einsparpotenzial liegt laut BDEW-Analyse insgesamt bei nur acht Prozent.

Die Metallerzeugung und die Nahrungsmittelindustrie könnten laut Berechnungen der Industrieverbände dabei noch am meisten auf Gas verzichten, in der Chemie wären sogar nur vier Prozent Einsparung möglich.

Einige Expertinnen und Experten sind allerdings der Meinung, dass dies sehr konservativ gerechnet sei. Es müssten entsprechende Anreize geschaffen werden, damit die Unternehmen sich auf die Suche nach Alternativen machen, sagt zum Beispiel Andreas Löschel, Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik sowie Nachhaltigkeit an der Ruhr-Universität Bochum.

Welche Alternativen gibt es?

Einige Firmen, die eigene Anlagen betreiben, könnten teilweise von Gas auf Öl oder Kohle umsteigen, sollten die Kohlekraftwerke wieder aus der Reserve geholt werden. Bundesweit prüfen Chemiefirmen, ob sie alte Ölkessel wieder aufbereiten und nutzen können, oder ob Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, die bisher fast ausschließlich mit Gas betrieben werden, mit Kohle befeuern können.

Aus den Kühltürmen des Kohlekraftwerks Niederaußem steigt in der Dämmerung Dampf auf | Bildquelle: Getty Images/Rentz

Auf einen schnellen Umstieg auf die erneuerbare Energien könne man nicht setzen, sagt zum Beispiel der Verband der Papierindustrie. Dafür fehle es an Infrastruktur und an der nötigen Verfügbarkeit.

Carsten Knobel, der Chef des Düsseldorfer Unternehmens Henkel, hat außerdem bereits angekündigt, seine Mitarbeitenden wieder vermehrt aus dem Home Office arbeiten zu lassen. So könne man die Temperaturen in den Büroräumen deutlich senken und Energie sparen, sagte er der Rheinischen Post.

Einige Unternehmen, wie auch der größte deutsche Stahlhersteller Thyssen-Krupp, bereiten sich allerdings auch jetzt schon darauf vor, die Produktion notfalls einzuschränken.

Über die Gaskrise berichten wir auch in der Aktuellen Stunde im WDR-Fernsehen am 3. Juli 2022.