Mehr Straßen-Überfälle: Nahaufnahme Düsseldorf
Aktuelle Stunde . 18.07.2024. 24:48 Min.. UT. Verfügbar bis 18.07.2026. WDR. Von Alexander Roettig.
Kriminelle Kinder: Alter für Strafmündigkeit senken?
Stand: 18.07.2024, 20:10 Uhr
Die Zahl der Gewalttaten steigt. Die Täter sind oft unter 14 Jahren und damit strafunmündig. Muss die Altersgrenze gesenkt werden?
Es ist eine Tat, die Entsetzen und Bestürzung auslöste: Anfang April wurde ein Obdachloser am Dortmunder Hafen erstochen – mutmaßlich von einem 13-Jährigen. Der Junge war mit Freunden unterwegs und hatte zufällig den 31-jährigen wohnungslosen Mann auf offener Straße getroffen. Nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung soll der 13-Jährige den Obdachlosen mit einem Messer attackiert und tödlich verletzt haben.
Kein Einzelfall. In Köln gibt es seit Wochen eine Serie von Überfällen, bei denen Menschen die Halskette abgerissen wird - mutmaßlich von Minderjährigen. In Oberhausen ist vor einiger Zeit eine Bande aus 9- bis 16-jährigen Jungen in Kita und Schulen eingebrochen und hat dort Räume verwüstet und Bargeld gestohlen.
17 Prozent mehr Straftaten von Kindern
Ein Blick in die Statistik zeigt: Immer mehr Jungen und Mädchen unter 14 begehen Gewalttaten. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2023 ist im Vergleich zum Vorjahr die Gewaltkriminalität bei Kindern bis 14 Jahren um 17 Prozent gestiegen. Der Anstieg bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren beträgt 14,4 Prozent.
Das Problem: Laut Paragraph 19 Strafgesetzbuch sind Jugendliche "schuldunfähig", wenn sie noch keine 14 Jahre alt sind. Sie kommen strafrechtlich also ungeschoren davon.
Frühzeitig auf Kinder einwirken
Angesichts der Entwicklung der Kinderkriminalität werden Forderungen lauter, das Alter für Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre zu senken. Auf einen entsprechenden Vorstoß hat sich die CDU-Bundesspitze unlängst bei einer Klausurtagung verständigt.
Rainer Wendt
Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, gehört ebenfalls zu jenen, die das Alter für Strafmündigkeit auf zwölf Jahre heruntersetzen wollen. In einem Interview sagte er, man müsse auf straffällig gewordene Kinder frühzeitig einwirken, um eine Verhaltensänderung langfristig zu erreichen.
"Wenn die Justiz überhaupt keine Handhabe hat, sich mit diesen Kindern auseinanderzusetzen, weil die Strafmündigkeit erst ab dem 14. Lebensjahr beginnt, verschenken wir mitunter wichtige zwei Jahre, um zu einer Verhaltensänderung frühzeitig zu kommen", sagte Wendt dem Bayerischen Rundfunk.
Kinder müssen ihre Taten einsehen
Gegen eine niedrigere Altersgrenze ist Professor Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des LMU Klinikums München. Sinn einer Strafe sei es, eine Verhaltensänderung zu bewirken. Dafür müssten Kinder allerdings längerfristige Folgen abschätzen können, sie bräuchten eine Entwicklungsperspektive. "Je jünger die Kinder sind, desto schlechter können sie die einnehmen", sagte Schulte-Körne. Frühere Strafen bewirkten also nicht, dass Kinder ihre Taten auch einsehen.
Mehr Hilfe und Begleitung für betroffene Kinder
Ähnlich denkt Kriminologin Barbara Bergmann. Ein Herabsetzen der Strafmündigkeit wirke der Jugendkriminalität nicht nachhaltig entgegen. Ganz im Gegenteil. Mehr Personen würden stigmatisiert und hätten geringere Chancen, sich ein normorientiertes Leben aufzubauen, sagte Bergmann dem WDR.
Ein "sehr viel gewinnbringenderer Weg wäre, frühestmöglich die Ressourcen benachteiligter Kinder und ihren Familien zu stärken und den Jugendlichen Alternativen zu kriminellen Karrieren zu bieten."
Welche Strafen gibt es für Jugendliche unter 14?
Aber welche Strafen gibt es eigentlich für Jugendliche unter 14? Der Staat kann straffällig gewordene Kinder zwar nicht mit dem Strafrecht belangen, die Familiengerichte können aber - auch gegenüber den Eltern - zu verschiedenen Mitteln greifen.
Dazu gehört die Anordnung, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen. Das Familiengericht kann als letztes Mittel den Eltern das Sorgerecht entziehen und das straffällig gewordene Kind in einem Heim oder in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen.
Unsere Quellen:
- Polizeiliche Kriminalstatistik 2023
- Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft gegenüber dem BR
- Professor Gerd Schulte-Körne gegenüber dem BR
- Kriminologin Barbara Bergmann gegenüber dem WDR