Blick auf das Haus im sauerländischen Attendorn, in dem ein achtjähriges Mädchen fast sein gesamtes Leben lang festgehalten worden sein soll.

Therapeutin über Mädchen aus Attendorn: "Kindheit kann man nicht nachholen"

Stand: 08.11.2022, 17:46 Uhr

Eine Achtjährige soll nahezu ihr ganzes Leben in einem Haus im Sauerland festgehalten worden sein. Das Mädchen wurde komplett von der Außenwelt abgeschirmt. Was macht das mit einem Kind?

Die Staatsanwaltschaft in Siegen ermittelt gegen die Mutter des Kindes und die Großeltern. Knapp sieben Jahre lang soll das Mädchen komplett von der Außenwelt abgeschirmt worden sein: Es hat nie einen Kindergarten und keine Schule besucht. Auch mit anderen Kindern soll es in dieser Zeit niemals gespielt haben.

Die plötzliche Konfrontation mit der Außenwelt habe bei dem Mädchen vor allem Überraschung ausgelöst. Das sagte der Fachbereichsleiter Jugend, Gesundheit und Soziales im Kreis Olpe, Michael Färber, dem WDR. "Sie war froh, auch mal etwas anderes zu sehen." Das Kind habe natürlich eine sehr enge Bindung zu seiner Mutter aufgebaut, so Färber weiter. Wie sie auf die Trennung reagieren wird, müsse man beobachten.

Therapeutin: "Kindheit kann man nicht nachholen"

Sabine Prüser, Pychotherapeutin an der DRK-Kinderklinik in Siegen

Sabine Prüser, Pychotherapeutin

"Eine Kindheit nachholen kann man nicht", sagt Psychotherapeutin Sabine Prüser von der DRK-Kinderklinik in Siegen dem WDR. "Aber man kann entwicklungsförderliche Voraussetzungen schaffen, so dass auch ein Kind, das nicht nur, aber auch Furchtbares erlebt hat und isolierte Bedingungen hatte, so gut wie möglich ins Leben starten kann." Dafür seien vor allem stabile und sensible Bezugspersonen wichtig. Bei Kindern sei die Möglichkeit, nachzulernen, "riesig groß".

Man müsse allerdings behutsam sein, warnt Nicole Vergin vom Kinderschutzbund NRW. Das Mädchen lerne die Außenwelt jetzt "sehr schnell" kennen. Normalerweise würde ein Kind die Welt außerhalb seiner Familie ganz langsam erleben - ob es das Einkaufen im Supermarkt oder der Wald sei. Wichtig sei auch, das Mädchen immer wieder nach seinen Wünschen zu fragen. Es solle sagen, was es sehen will und wofür es sich interessiert.

Kinderschutzbund: Umgang gestatten, wenn Mädchen das wünscht

Diese Wünsche müssten ebenfalls bei der Frage respektiert werden, ob das Mädchen noch Umgang mit seiner Familie pflegen soll oder nicht. Wenn sich die Achtjährige diesen wünscht, müsse er gestattet werden, meint Vergin. Allerdings begleitet - eine externe Person solle in den Situationen dabei sein. Schließlich habe das Kind plötzlich seine drei Bezugspersonen verloren, die seine gesamte Welt waren.

Die Herausforderung für die Pflegeeltern sei hier ebenfalls enorm. Man müsse dem Kind erklären, dass seine drei Bezugspersonen es nicht gut behandelt hätten. Dennoch müsse das Mädchen ein Bild von seiner Mutter und den Großeltern behalten können, mit dem es gut leben kann.