Hamm hat's erwischt. Die Stadt im Ruhrgebiet kämpft aktuell mit dem höchsten Wert an Neuinfektionen in ganz Deutschland. Für den Ausbruch mitverantwortlich ist wohl eine türkische Großhochzeit Anfang September. Inzwischen hat die Stadt rund 200 Coronainfektionen mit dem Fest in Verbindung gebracht.
Einfach nur rücksichtlos?
In den sozialen Netzwerken sind türkische Hochzeiten seitdem zu beliebten Zielscheiben geworden: wüste Beschimpfungen mit eindeutig rassistischem Unterton, aber auch enttäuschte Kommentare von Usern, die gewöhnlich keine Probleme mit anderen Kulturen haben. Der Tenor: Wie kann man nur so rücksichtslos sein?
Tatsächlich sieht derzeit alles danach aus, dass Organisatoren und Gäste der Feier in Hamm und einer damit verbundenen Party in Dortmund nahezu alle Corona-Regeln ignoriert haben. Abstand? Fehlanzeige. Nicht einmal ordentliche Teilnehmerlisten konnten die Organisatoren vorlegen, womit eine Nachverfolgung der Kontakte extrem erschwert wurde.
"Es kann nicht sein , dass eine einzige Familie mit ihrer Familienfeier eine ganze Stadt durcheinanderbringt oder im schlimmsten Fall sogar noch einen Lockdown auslöst", schimpfte Hamms Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann (CDU). Ein Großteil der Hammer Bürger, die jetzt mit zahlreichen Einschränkungen leben müssen, werden diese Meinung teilen.
Veranstalter wirbt um Vertrauen
Solche Auswüchse seien nicht die Regel, sagt Mesut Cetin, der in Herne eine Eventlocation für multikulturelle Feste betreibt. Bei einer traditionellen türkischen Hochzeit gehe es nicht nur um Feiern und Spaß. Die Feier habe in der türkischen Kultur einen ganz besonderen Stellenwert.
Wichtige Tradition für Deutsch-Türken
Sie sei ein weit sichtbares Zeichen an die Gemeinschaft, dass ein Paar eine ehrenhafte Beziehung eingegangen sei und ab sofort zusammenleben werde. "Das ist eine kulturelle Eigenschaft, die wir über eine Generation in Deutschland gut gepflegt haben."
In kleinem Rahmen lasse sich das nicht feiern. Ohne die erweiterte Familie, Freunde und Geschäftspartner sei so ein Fest fast nicht vorstellbar. Auch deshalb kämen manchmal bis zu 1.000 Gäste, mehrere Hundert seien der Normalfall.
Jahrelange Planungen
Natürlich seien so große Veranstaltungen in Zeiten von Corona nicht ideal, räumt Cetin ein. Aber meistens liefen die Planungen bereits seit eineinhalb Jahren. Die Brautpaare hätten sich auch finanziell für ihren großen Tag verausgabt und könnten nicht alles kurzfristig absagen oder auf unbestimmte Zeit verschieben.
Die massive Kritik hält Cetin für ungerecht. Mit einem ordentlichen Hygienekonzept könne man auch bei größeren Hochzeiten die Infektionsgefahr unter Kontrolle halten. Aber solche Argumente würden zurzeit nicht gehört. Sobald die Zahlen stiegen, würden "die Türken" dafür verantwortlich gemacht.