Kommentar: Tönnies ist ein erschreckendes Beispiel

Stand: 21.06.2020, 17:52 Uhr

Seit Jahren beklagt der NRW-Arbeitsminister die Zustände in den Schlachthöfen - vor allem wegen der Arbeitsbedingungen. Durch Corona fällt ihm das Problem nun auf die Füße. Ein Kommentar.

Von Wolfgang Otto

Schon in normalen Zeiten wäre es schlimm genug, was wir derzeit so alles über die Arbeits-und Wohnverhältnisse der Beschäftigten in der Fleischindustrie erfahren. In diesen Corona-Zeiten bekommen diese Missstände eine besondere Dimension.

Denn jetzt zeigt sich: So wie Schlachthöfe hierzulande produzieren und wie sie geführt werden, sind sie besonders anfällig für eine massenhafte Virusverbreitung. Und nicht nur das. Schlimmer noch: Auch die Eindämmung der Infektion ist in den herrschenden Strukturen der Fleischindustrie extrem schwierig.

Windige Wekverträge

Der Fall Tönnies liefert dazu jetzt ein erschreckendes Beispiel. Bis Freitagabend waren den zuständigen Behörden nicht alle Adressen der in Rheda-Wiedenbrück Beschäftigten bekannt. Es bedurfte einer behördlichen Anordnung bis Tönnies 1.300 Mitarbeiter-Anschriften herausrücken konnte. Der Grund: Werkvertrags-Konstruktionen mit Subunternehmen, bei denen die Verantwortung hin und her geschoben werden kann.

Ergebnis des Zuständigkeits-Wirrwarrs: Die Infektionsketten konnten nur mit erheblicher Verzögerung nachverfolgt werden. Dabei kommt es gerade bei der Corona-Eindämmung auf Schnelligkeit an. Außerdem: Es bestehen große Zweifel, ob bei Tönnies die Vorschriften für den Infektions-Schutz eingehalten wurden. Noch im Mai waren dort und in anderen Fleischfabriken Mängel beim Arbeitsschutz festgestellt worden.

Warum erst jetzt?

Die NRW-Landesregierung muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie nicht schon früher eingegriffen hat, um die Missstände zu beseitigen. Denn mit den weiteren Lockerungen war doch jedem klar, dass das Aufflammen neuer Infektions-Herde unbedingt verhindert werden muss.

NRW-Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann von der CDU sagt jetzt: In Strukturen ohne Transparenz, wie in der Fleischindustrie, könne es kein Vertrauen geben. Er ist schon lange ein scharfer Kritiker der Zustände in der Fleischwirtschaft. Umso mehr wundert es, dass auch er sich zu lange auf Zusagen verlassen hat. Er hätte gewarnt sein müssen.

Man kann nur hoffen, dass das Alarmsignal aus Rheda-Wiedenbrück jetzt bei allen angekommen ist. Die Fleischindustrie braucht ordentliche Arbeitsbedingungen und scharfe Kontrollen. Nicht nur in Corona-Zeiten.

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