Deutscher Bundestag: Epidemische Lage von nationaler Tragweite

phoenix vor ort 18.06.2020 01:27:01 Std. Verfügbar bis 18.06.2025 Phoenix

Intensivmediziner: Ende der "epidemischen Lage" ist das falsche Signal

Stand: 21.10.2021, 19:58 Uhr

Die kalte Jahreszeit steht vor der Tür und die Zahl der Corona-Infektionen steigt wieder deutlich an. Noch gebe es keinen Grund für Entwarnung, sagt der Kölner Intensivmediziner Christian Karagiannidis.

Die Mehrheit der Bevölkerung befürwortet einer Umfrage zufolge ein Auslaufen des seit eineinhalb Jahren geltenden bundesweiten Corona-Ausnahmezustands im November. Der Vorschlag von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die "epidemischen Lage" nationaler Tragweite bald aufzuheben, hat eine kontroverse Diskussion ausgelöst.

Christian Karagiannidis, leitender Oberarzt an der Lungenklinik Köln-Merheim und wissenschaftlicher Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), hält so einen Schritt für verfrüht. In diesem Herbst und Winter könne die Situation in den Kliniken noch sehr kritisch werden.

WDR: Herr Karagiannidis, die Sieben-Tages-Inzidenz steigt wieder. Müssen wir uns Sorgen machen?

Christian Karagiannidis: Was mich schon ein bisschen beunruhigt, ist der Anstieg der Inzidenz, den wir in den letzten Tagen gesehen haben. Das Ganze läuft parallel zu den Aufnahmen auf den Intensivstationen. Deshalb rechnen wir fest damit, dass die Zahlen in den kommenden Wochen noch einmal deutlich hochgehen werden.

WDR: Droht ihrer Ansicht nach eine neue Welle?

Karagiannidis: Wir hatten ja schon im Sommer den Beginn der "vierten Welle". Zumindest bei uns im Westen war die aber vor allem durch Reiserückkehrer dominiert und ist danach wieder runtergegangen. Den Anstieg, den wir jetzt seit zehn, 14 Tagen sehen, halte ich für den echten Beginn der Herbst-Winter-Welle. Pro Tag registrieren wir im Augenblick mehr als 100 Neuaufnahmen auf den Intensivstationen.

Das Besondere ist, dass die Patienten im Vergleich zu der ersten und zweiten Welle letztes Jahr deutlich jünger geworden sind. Dadurch haben sie bessere Überlebenschancen, aber bleiben natürlich auch deutlich länger auf der Intensivstation.

WDR: Was halten sie von den Plänen, die "epidemische Lage" bald auslaufen zu lassen?

Karagiannidis: Ich glaube, das ist der falsche Zeitpunkt, um das zu diskutieren. Es geht gar nicht so sehr um das Rechtliche, was dahinter steht. Damit würde das Gefühl vermittelt, dass alles für die Krankenhäuser gar kein Problem mehr ist. Und das ist im Moment überhaupt nicht so. Wenn man dafür ist, das auslaufen zu lassen, sollte das auf jeden Fall noch einmal breit im Bundestag diskutiert werden. Außerdem sollten sich die Verantwortlichen die Daten sehr genau anschauen.

Wenn die Krankenhäuser voll sind, brauchen wir Unterstützung. Ich glaube, es ist keine gute Idee, auf Sicht zu fahren. Wir brauchen eine generalstabsmäßige Planung für das, was im Herbst und Winter kommt. Und das können wir jetzt vorbereiten.

Das Interview führte Carolyn Wißing.

Das Gespräch wurde für die Online-Version sprachlich bearbeitet und gekürzt.

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