Keine Impfpflicht: Sorge vor einem düsteren Corona-Herbst

Stand: 08.04.2022, 18:55 Uhr

Nach dem Scheitern der Corona-Impfpflicht macht sich die Sorge breit, dass wir im Herbst und Winter wieder mit vielen Problemen und Beschränkungen leben müssen. Ist die Sorge berechtigt?

Von Frank Menke

Weder die Impfpflicht für Menschen ab 60 Jahren noch andere Vorschläge dazu hatten am Donnerstag im Bundestag eine Mehrheit gefunden. Manche Corona-Experten befürchten nun für den Herbst und Winter erneut pandemische Probleme und Beschränkungen, denen man gegensteuern müsse.

"In den letzten Wochen hat die Impfmüdigkeit dramatisch zugenommen." Intensivmediziner Prof. Uwe Janssens

Die Politik tue so, "als wenn Omikron eine ganz normale Krankheit sei. Das ist nicht der Fall. Deshalb müssen wir jetzt geeint nach vorne schauen und weiter daran arbeiten, dass wir keinen düsteren Herbst erleben. Und das sind auch keine alarmistischen Formulierungen. In den letzten Wochen hat die Impfmüdigkeit dramatisch zugenommen", sagte Intensivmediziner Prof. Uwe Janssens vom St.-Antonius-Hospital in Eschweiler dem WDR.

Wieder Lockdown und Kontaktbeschränkungen?

Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery malte sich in der "Augsburger Allgemeinen" vom Freitag angesichts der gescheiterten Impfpflicht dieses Szenario aus: "Deutschland wird schlecht aufgestellt sein für den nächsten Herbst." Wenn sich nicht noch viele impfen ließen, "werden wir im nächsten Herbst und Winter wieder über Lockdown und Kontaktbegrenzungen reden und streiten".

Allerdings ist es aus wissenschaftlicher Sicht unmöglich, den Status quo der Pandemie in einigen Monaten seriös zu prognostizieren. "Das kann man jetzt noch nicht sagen. Man weiß ja nicht, ob es dann andere Corona-Varianten gibt, die nochmal ansteckender sind als Omikron oder die schwerere Krankheitsverläufe nach sich ziehen", sagt Ruth Schulz aus der WDR-Wissenschaftsredaktion.

Man wisse auch nicht, wie viele Menschen dann geimpft oder schon einmal mit Omikron infiziert gewesen seien: "Das sind so viele unbekannte Größen."

"Eine Impfpflicht hätte auf jeden Fall besser verhindern können, dass so viele Menschen immer noch an Covid sterben." Ruth Schulz, WDR-Wissenschaftsredaktion

Allerdings bedauert auch Schulz das Scheitern der Impfpflicht: "Eine Impfpflicht hätte auf jeden Fall besser verhindern können, dass so viele Menschen immer noch an Covid sterben. Sie hätte vielleicht die Pandemie nicht gänzlich durchbrechen oder stoppen können, aber sie hätte deutlich gezeigt, wie ernst die Aufforderung ist, sich impfen zu lassen."

Elektronische Patientenakte vorantreiben

Intensivmediziner Prof. Christian Karagiannidis, Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, hatte sich im WDR-Interview bezüglich einer besseren Datenlage zu Geimpften und Ungeimpften für den Ausbau der elektronischen Patientenakte bei den Krankenkassen ausgesprochen.

Das sieht Ruth Schulz kritisch: "Ich glaube, das ist in Deutschland zurzeit nicht durchsetzbar, weil es hier ein sehr starkes Bewusstsein für Datenschutz gibt. Viele Menschen möchten nicht, dass eine Krankenkasse alle möglichen Gesundheitsdaten erfasst."

"Im Herbst werden wir wohl ein drittes Mal nicht optimal vorbereitet in die dann zu erwartende Welle gehen." Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)

Wesentlich wird zunächst einmal sein, der von Janssens angesprochenen Impfmüdigkeit zu begegnen: "Wir müssen jetzt alles daran setzen, und da hoffe ich auf die Unterstützung der Politik, dass wir das Thema Impfen weiter vorantreiben, denn eins ist klar: Die Impfung ist unser Schutz und hat uns gerettet vor einem desaströsen Verlauf in der Corona-Pandemie."

Selbst Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gesteht nach der gescheiterten Impfpflicht ein: "Im Herbst werden wir wohl ein drittes Mal nicht optimal vorbereitet in die dann zu erwartende Welle gehen."

Lauterbach sagte auch, mit den jetzigen Regeln des Infektionsschutzgesetzes werde man "mit Sicherheit nicht über die Runden kommen". Angesichts der nun verbleibenden Impflücke könne man etwa nicht ohne eine Maskenpflicht in den Herbst gehen.

"Wir stehen mit einem Nullum, einem Nichts da." Politologe Prof. Albrecht von Lucke

Mit deutlichen Worten gegenüber dem WDR kommentierte der Politologe Prof. Albrecht von Lucke die gescheiterte Impfpflicht: "Das ganz große Scheitern besteht darin, dass weder die Regierung noch die Opposition letztlich die Größe hatten, aufeinander zuzugehen, einen Kompromiss zu finden, über ihren eigenen Schatten zu springen - das wäre übrigens zuallererst die Aufgabe des Kanzlers gewesen."

Olaf Scholz sei auch verantwortlich dafür, "dass nicht einmal ein Impfregister oder so etwas wie eine Vorsorge bis zum Herbst vereinbart wurde", so Lucke. "Wir stehen mit einem Nullum, einem Nichts da."

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Weiter vorsichtig sein

Um zumindest einigermaßen entspannt in den Herbst und Winter zu gehen, empfiehlt WDR-Wissenschaftsredakteurin Ruth Schulz den Menschen diese Maßnahmen: "Vorsichtig sein, immer Masken tragen, wenn viele Leute zusammenkommen, sich regelmäßig testen und sich im Freien treffen, wenn es geht."

Über dieses Thema berichteten wir am 08.04.2022 im WDR auch im Fernsehen: WDR Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.

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