Mit drei vollen Einkaufstüten steht der Mann an einer Straße in Rheda-Wiedenbrück. Auf Polnisch erzählt er: "Ich war einkaufen, weil ich nicht weiß, wie es weitergeht. Ich weiß nicht, ob ich ab Montag die Wohnung noch für Einkäufe verlassen darf. Ich wollte mich absichern."
Schon über 1.300 Infizierte
Der Mann ist Werksmitarbeiter in der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Arbeiten geht er gerade nicht. Denn wegen des großen Corona-Ausbruchs wurde die Schlachterei stillgelegt. Es gibt über 1.300 Infizierte. Für viele wurde eine Quarantäne verhängt.
Für den Mann gilt die angeblich nicht. "Ich bin nicht in Quarantäne, weil ich gesund bin. Und meine Mitbewohner auch. Unsere Tests waren negativ." Trotzdem weiß er nicht, ob er demnächst vielleicht doch zuhause bleiben muss. Der nächste Corona-Test kann schließlich auch positiv ausfallen.
Es ist eine Verunsicherung, wie sie gerade wohl unter vielen Tönnies-Mitarbeitern herrscht. Sie kommen oftmals aus Osteuropa. Die Arbeit ist hart und der Lohn gering. Gewohnt wird in einfachen Unterkünften, oftmals mit mehreren Kollegen zusammen. Und plötzlich stehen sie im Zentrum des größten Corona-Ausbruchs in NRW.
Abgeriegelte Wohnsiedlungen
Während sich der Mann mit den Einkaufstüten noch frei bewegen kann, sieht die Lage bei Kollegen anders aus. Manche Wohnsiedlungen von Tönnies-Mitarbeitern wurden komplett abgeriegelt mit Bauzäunen. Wer Lebensmittel benötigt, ist auf Hilfe angewiesen.
Arbeiter fühlen sich wie in der Sackgasse
Peter Kossen weiß, in welcher schwierigen Lage sich die Werksarbeiter im Moment befinden. Er ist katholischer Pastor und hilft den Beschäftigten seit Jahren. Aus Gesprächen weiß er: "Einerseits haben sie Angst vor der Ansteckung. Und andererseits sind sie gezwungen hier zu sein, um Geld zu verdienen – nicht nur für sich, sondern häufig auch für ihre Familien. Das ist wie eine Sackgasse, wie eine Falle." Viele Fragen drehten sich deshalb darum, ob es weiterhin Lohn gebe, wenn die Arbeit nun geschlossen ist und es in Quarantäne geht.
Doch offenbar ist es für die Betroffenen schwierig, solche Fragen zu klären. Denn schon die Kommunikation ist ein Problem. "Tatsächlich ist es so, dass die Arbeitsmigranten in der Regel nicht die Chance haben, unsere Sprache zu lernen", beklagt Kossen. In Zukunft müsse sich das "unbedingt" ändern.
Immerhin: Im Kreis Gütersloh sind dieser Tage auch Dolmetscher im Einsatz. Sie sollen dabei helfen, dass bei den Tausenden Corona-Tests alles funktioniert. Außerdem werden Flyer verteilt, die in bulgarischer, rumänischer und polnischer Sprache aufklären.
Frühzeitiges informieren statt neue Ausbrüche
Der Migrationsforscher Jochen Oltmer fordert, schon viel früher anzusetzen. "Wichtig ist, nicht zu warten, bis etwas passiert wie jetzt im Kreis Gütersloh, sondern frühzeitig zu informieren." Statt Plakaten und Flyern sei eine direkte Ansprache nötig – auch per Messengern wie WhatsApp. "Wir wissen ganz genau, dass unzureichende Informationen und das fehlende Erklären von Maßnahmen immer wieder auch zu Konflikten führt." Und im Idealfall könnten solche Corona-Ausbrüche vielleicht sogar verhindert werden.