Ungeimpfte: Rücksicht nehmen oder weiter lockern?

Stand: 19.02.2022, 16:25 Uhr

Muss die Politik durch Schutzmaßnahmen weiterhin vulnerable Menschen vor dem Coronavirus schützen, die nicht bereit sind, sich selbst durch eine Impfung zu schützen?

Von Frank Menke

Es ist ein Lockern mit Handbremse. Denn laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind wir noch längst nicht in sicheren Gewässern. Das liege auch an den etwa drei Millionen Ungeimpften über 60 Jahren, sagte er am Freitag: "Wir müssen davon ausgehen, dass wir bis zu zwölf Prozent Ungeimpfte bei den über 60-Jährigen haben." Er sprach in dieser Hinsicht von einer "besonderen Herausforderung" und einer "außergewöhnlichen Gefährdung".

Was sagen diese Menschen selbst? Bei einer nicht repräsentativen Straßenumfrage sagte ein Passant in Begleitung seiner Frau am Freitag dem WDR: "Es steht doch jedem offen, sich impfen zu lassen. Das ist eine freie Entscheidung. Wir sind auch nicht geimpft und stehen dazu. Ich kann sterben, ich kann überfahren werden, erschossen, das kann alles passieren. Das heißt nichts, mittlerweile wird jeder krank. Die Geimpften, die Dreifach-Geimpften, die Geboosterten werden alle krank, nicht so schwer, aber einige. Wenn meine Zeit gekommen ist, dann ist das so."

Wieviel Rücksicht muss sein?

Doch die Politik will weiterhin vor allem vulnerable Gruppen schützen, gerade auch die ungeimpften Menschen unter ihnen. Aber muss die Gesellschaft tatsächlich Rücksicht auf Menschen nehmen, die selbst nicht bereit sind, sich durch eine Impfung zu schützen? Sollten diese Leute nicht selbst die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen?

"Eine solche Verweigerungshaltung ist da, wo sie eben nicht wohlbegründet ist, auch ganz klar moralisch zu kritisieren." Franz-Josef Bormann, Moraltheologe an der Universität Tübingen

Moraltheologe übt Kritik an Ungeimpften

Der katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann von der Universität Tübingen sagte dazu dem WDR: "Eine solche Verweigerungshaltung ist da, wo sie eben nicht wohlbegründet ist, auch ganz klar moralisch zu kritisieren. Und zwar nicht nur, weil diese Leute sich ohne Not selber gefährden, sondern auch, weil sie Dritte in Mitleidenschaft ziehen - das kann eine direkte Infektionsgefahr darstellen, es kann aber auch die Gemeinschaft insgesamt schwer belasten."

Die Haltung, sich nicht impfen zu lassen, sei ein Problem der Gemeinschaft und nicht nur des Eigenwohls: "Es sei denn, diese Person würde auf einer isolierten Insel leben und keinerlei soziale Kontakte pflegen." Bormann warnte denn auch die Politik davor, das Ende der Pandemie zu verkünden: "Das arbeitet genau diesen Leuten in die Hände, weil die dann sagen, warum soll ich mich jetzt noch impfen lassen." Niemand könne aber sagen, wie es mit den Corona-Mutanten weitergehe. Bormanns Fazit: "Wir müssen weiterhin alles dransetzen, die Impflücke in Deutschland zu schließen."

"Und die Leute, die sich dann immer noch nicht impfen lassen wollen und lieber eine Ordnungswidrigkeit begehen und eine Geldstrafe in Kauf nehmen, die wird man dann am Ende tatsächlich sich selbst überlassen müssen." Moraltheologe Franz-Josef Bormann

Bormann sagt, irgendwann sei auch der Punkt erreicht, wo die Einführung einer entsprechend gestuften Impfpflicht auch ethisch wohlbegründet sei. "Und die Leute, die sich dann immer noch nicht impfen lassen wollen und lieber eine Ordnungswidrigkeit begehen und eine Geldstrafe in Kauf nehmen, die wird man dann am Ende tatsächlich sich selbst überlassen müssen."

"Irgendwo ist auch mal Schluss." Passant bei einer WDR-Umfrage zu Corona-Maßnahmen, um Ungeimpfte zu schützen

Viele Menschen sind allerdings nicht mehr bereit, wegen Impfskeptikern und Impfverweigerern ihr eigenes Leben beschränken zu lassen. "Irgendwo ist auch mal Schluss. Wir sind alle mündige Bürger mit Rechten und Pflichten. Da hat man halt das Nachsehen, wenn man sich infiziert. Eigenverantwortung zählt", sagte ein Passant bei der WDR-Umfrage.

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"Unter Kontrolle ist die Pandemie bis jetzt nie gewesen. Wer das glaubt, macht einen fatalen Fehler." Thorsten Lehr, Professor für klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken

Thorsten Lehr, Professor für klinische Pharmazie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, sieht die Lockerungen vor dem Hintergrund der Impflücke kritisch. Auch Omikron bleibe gerade für Ungeimpfte "eine schwere Erkrankung, eben kein Schnupfen: Je nachdem, wie alt man ist und wie risikoreich, kann es sehr schwere Verläufe bis zum Tod geben." Sein Fazit: "Unter Kontrolle ist die Pandemie bis jetzt nie gewesen. Wer das glaubt, macht einen fatalen Fehler", sagte er am Freitag im WDR.

Über dieses Thema berichtete der WDR auch in der "Aktuellen Stunde" am 18.02.2022.

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