Thüringer Metallarbeiterinnen demonstrieren am 15. April 1993 in der Erfurter Innenstadt gegen die Kündigung der Ost-Tarifverträge durch die Arbeitgeber der Branche

20. Dezember 1993 - "Sozialabbau" wird zum Wort des Jahres erklärt

Stand: 20.12.2018, 00:00 Uhr

Seit 1971 wählt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) die Wörter des Jahres. Sie sind Belege der Zeitgeschichte. "Wenn man sich die Wörter im Einzelnen ansieht, dann sind sie praktisch Zeitkapseln", sagt der GfdS-Vorsitzende Peter Schlobinski. "Einzelne politische, gesellschaftspolitische, kulturelle Ereignisse werden widergespiegelt."

1993 steht beispielsweise der Sozialstaat im Fokus der öffentlichen Debatte. "Wir können die Zukunft nicht dadurch sichern, dass wir unser Land als einen kollektiven Freizeitpark organisieren", sagt Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) in seiner Regierungserklärung im Oktober 1993. "Immer kürzere Arbeitszeit bei steigenden Lohnkosten, immer mehr Urlaub: Das ist nicht eine Voraussetzung für eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes."

"Sozialabbau" wird Wort des Jahres (am 20.12.1993)

WDR 2 Stichtag 20.12.2018 04:04 Min. Verfügbar bis 17.12.2028 WDR 2


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Sparen als Ansporn

Seit der Wiedervereinigung boomt die Wirtschaft, die Steuerbelastung der Unternehmen wird seit Jahren gesenkt. Gleichzeitig steigt die Arbeitslosigkeit und die Sozialkassen sind leer. Um die Einheit zu finanzieren, will die Bundesregierung sparen - auf Kosten der Arbeitnehmer. Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung werden teurer, die Mehrwertsteuer erhöht.

Kohl versteht das als Ansporn. Das sehen nicht alle so. "Wir sind nicht faul", steht auf den Postkarten, die die SPD verteilt, damit Empörte sie ans Kanzleramt schicken.

Signifikanz als Kriterium

Zum Wort des Jahres erklärt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) am 20. Dezember 1993 deshalb den Begriff "Sozialabbau". Er stehe gleichzeitig für zahlreiche "Reizwörter des Jahres" wie "4-Tage-Woche", "zweiter Arbeitsmarkt", "Null-Runde" und "Frühverrentung".

Ausgewählt worden ist das Wort wie üblich von einer Jury aus GfdS-Vorstand, Sprachwissenschaftlern sowie Vertretern aus Medien und Kultur. Ausschlaggebend sind dabei nicht die Häufigkeit, sondern Signifikanz und Popularität des Ausdrucks.

"Jeder kann einreichen"

Basis der Jury-Entscheidung ist jeweils eine Liste von ungefähr 130 bis 140 Wörtern, die im Laufe eines Jahres zustande kommt. "Wir sammeln das ganze Jahr über", sagt Professor Schlobinski. "Jeder kann einreichen."

Auf den Plätzen zwei und drei folgen 1993 die Worte "Blutskandal" und "Standort Deutschland". Auf den weiteren Rängen stehen "Amigo-Affäre", "Pflegeversicherung", "umdenken", "Großer Lauschangriff", "Asylkompromiss", "Ostalgie" und schließlich "Dino".

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