Test-Chaos an Schulen: "Das ist eine Bankrotterklärung!"

Stand: 28.01.2022, 11:23 Uhr

Wegen knapper Kapazitäten und steigender Corona-Fallzahlen gibt es an Grundschulen keine PCR-Tests mehr. Die Schulen fühlen sich im Stich gelassen. Schulministerin Gebauer (FDP) verteidigte die Umstellung im Landtag.

Bei Grundschülern mit positivem Pool-Ergebnis bei den Lolli-Tests wird ab sofort nur noch mit Schnelltests nachgetestet. Die Abgabe von einzelnen PCR-Rückstellproben an die Labore entfällt.

Was heißt das für Schulen und Eltern?

Die Neuerung bedeutet, dass "positive Kinder in die Schule kommen", sagte Schulleiterin Martina Reiske von der Sudbrack-Grundschule Bielefeld am Mittwoch zu WDR 2. "Wir müssen die testen und wenn der Schnelltest positiv ist, informieren wir die Eltern und begleiten die Kinder so lange in der Schule, bis die Eltern kommen."

Für die Lehrkräfte eine zusätzliche Gesundheitsgefahr und ein erheblicher Mehraufwand - einmal mehr. "Wir beschäftigen uns nur noch mit Tests und dem Packen von Tests. Natürlich ist nicht mehr das ganze Personal vor Ort, weil ja Lehrkräfte und Mitarbeitende erkrankt sind", beklagte Reiske.

Erst spät am Abend wurden Schulen informiert

Aus Sicht vieler Schulen macht es sich die Landesregierung sehr einfach: "Ständig müssen die Familien neue Aspekte beachten und sich neuen Situationen stellen. Und wir müssen es kommunizieren", so Monika Maraun, Schulleiterin aus Düsseldorf und Sprecherin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Gespräch mit dem WDR.

Die Nachricht an die Grundschulen, dass es eine kurzfristige Umstellung des Testsystems gibt, ist laut der Grünen-Fraktionschefin Josefine Paul am Dienstagabend um 22.14 Uhr abends verschickt worden. "An unseren Grundschulen ist das Testregime regelrecht zusammengebrochen", kritisierte SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty im Landtag. "Kinder konnten nicht zur Schule, Eltern nicht zur Arbeit", so Kutschaty.

Gebauer verteidigt Änderungen gegen Kritik

Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hat die kurzfristigen Änderungen beim Testverfahren für Grundschüler in NRW gegen Kritik verteidigt. Das Test-System sei nicht gescheitert, betonte die Ministerin in Düsseldorf. Es sei aber von zwei Seiten angegriffen worden und habe geändert werden müssen.

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Zum einen seien die Infektionszahlen sprunghaft gestiegen und die Labore an ihre Grenzen gekommen. Zum anderen müsse sich NRW an den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) von Montag halten. Demnach muss bei den als besonders genau geltenden PCR-Tests eine Konzentration auf bestimmte Gruppen erfolgen, also priorisiert werden.

Wie es nach Meinung der Politik nun weitergehen soll

Am Freitag debattierte der Landtag in einer Aktuellen Stunde die Lage. SPD-Fraktionsvize Jochen Ott forderte, Einzeltestungen von den Schulen nach Hause zu verlagern. Der Ministerin warf er einen "Super-GAU" an Schulen vor und forderte von Gebauer ein Stufenmodell, wie der Unterricht trotz vieler Ausfälle weitergehen solle.

Angesichts der stattfindenden "Durchseuchung" müsse man mit allen Beteiligten über die Präsenzpflicht an Schulen reden, forderte die Grünen-Bildungsexpertin Sigrid Beer. Omikron sei schneller als die Landesregierung. Die Schulen müssten eigenverantwortlich über Wechselunterricht entscheiden dürfen.

Die CDU-Abgeordnete Claudia Schlottmann warf der Opposition "Panikmache" vor. Ministerin Gebauer zeigte Verständnis für den Unmut von Eltern, verteidigte aber erneut die kurzfristige Test-Umstellung. Am Präsenzunterricht will die FDP-Politikerin festhalten - Beers Initiative lehnte sie ab. Der AfD-Abgeordnete Helmut Seifen wiederholte die bekannte Position seiner Partei, dass sie die Corona-Schutzmaßnahmen an Schulen ablehnt.

Eltern sind verunsichert

Die Schulen fühlen sich indes im Stich gelassen, aber auch viele Eltern sind ratlos. Eine Mutter beklagte sich auf WDR 2: "Mein Sohn ist seit zwei Tagen zuhause. Keiner meldet sich. Ich soll meinen Sohn in die Schule schicken, obwohl ein Kind positiv ist und keiner weiß wer", sagte sie und fuhr fort:

"Das ist eine Bankrotterklärung der Regierung!" verzweifelte Mutter

Für Eltern kommen durch die Neuregelung wieder einmal neue Fragen auf: Wann und wo wird mein Kind getestet, wenn der Pooltest positiv ausfällt? Im Zweifel erst am nächsten Tag in der Klasse. Das heißt aber, es sitzt mindestens ein infiziertes Kind im Raum. Und Grundschulkindern fällt es natürlich schwerer als älteren Kindern, Distanz und Disziplin zu bewahren.

Das NRW-Schulministerium hat dennoch nochmals betont, trotz aller Probleme soll es weiter Präsenzunterricht geben. Für Reiske ein Dilemma: "Wir haben Kriterien erarbeitet: Bei mehr als vier positiven Kindern gehen wir in Distanzunterricht. Mein pädagogisches Herz sagt, wir brauchen die Kinder in Präsenz. Aber wir dürfen uns auch nicht alle anstecken", erläuterte sie.

Nach zwei Jahren ist "der Akku leer"

Aus Protest haben in Düsseldorf und Wuppertal rund 40 Grundschulen weiße Fahnen in die Fenster gehängt. Damit brachten sie zum Ausdruck, dass sie überlastet sind. Die kurzfristige Kommunikation vonseiten der Politik sei mittlerweile kein Sonderfall mehr, sondern die Regel, beklagte Holger Thrien von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Man merkt: Nach zwei Jahren ist der Akku leer", so Thrien.

Kritik von der Landesschüler*innen-Vertretung

Heftige Kritik äußert die Landesschüler*innenvertretung NRW (LSV NRW). Sie hält es für unverantwortlich, dass aufgrund von Überlastung der Labore in den Grundschulen nur noch Pooltests, aber keine individuellen Nachtests mehr durchgeführt werden. "Unter diesen Umständen ist ein sofortiges Aussetzen der Präsenzpflicht zwingend erforderlich", heißt es in einer Pressemitteilung.

Das Infektionsgeschehen sei schon mit dem bisherigen Testverfahren außer Kontrolle geraten, die jetzige spontane Umstellung komme einer Bankrotterklärung der Landesregierung beim Versuch der Pandemiebekämpfung gleich. Das Ministerium lasse die Grundschüler "gegen die Omikron-Wand fahren - was den Eindruck erweckt, dass eine Durchseuchung die neue Strategie ist", so die LSV NRW.

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