Deshalb reicht ein Einreisestopp nicht

Stand: 30.01.2021, 10:23 Uhr

Ab diesem Wochenende gelten Einreisesperren für mehrere Länder, in denen Corona-Mutationen verstärkt vorkommen. Das ist richtig so - aber nicht genut, findet der Freiburger Virologe Hartmut Hengel.

Von Christina Höwelhans

In mehreren Ländern sind in den vergangenen Wochen mutierte Versionen des Coronavirus aufgetaucht. Deshalb gilt ab diesem Samstag eine Einreisesperre für Menschen aus Großbritannien, Irland, Portugal, Südafrika und Brasilien und ab Sonntag für Menschen aus den afrikanischen Staaten Lesotho und Eswatini. Dass die mutierten Coronaviren dort aufgetaucht sind, liegt auch an besseren Untersuchungen, sagt Hartmut Hengel, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Freiburg.

WDR: Die Bundesregierung hat Einreisesperren für Menschen aus Ländern, in denen mutierte Coronaviren kursieren, beschlossen. Wie sinnvoll finden Sie das?

Hartmut Hengel: Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation, dass wir selber nicht so genau wissen, welche Varianten in Deutschland zirkulieren, halte ich diese Maßnahme im Moment für gerechtfertigt. Ich denke, wir sollten versuchen, das Eindringen von Varianten nach Deutschland möglichst hinauszuzögern.

WDR: Kann es sein, dass die Mutationen in den entsprechenden Ländern erkannt worden sind, weil dort Coronaviren systematischer auf den genauen Virustyp untersucht, also sequenziert, werden als in Deutschland?

Hengel: Das ist teilweise ganz gewiss so. Insbesondere gilt das natürlich für Großbritannien, wo ein sehr gutes Überwachungssystem besteht und deswegen diese Variante frühzeitig und auch in der erforderlichen epidemiologischen Tiefe erfasst worden ist. Auf diese Weise konnte die überlegene Infektionsdynamik der Mutation im Vergleich zu den bisherigen Coronaviren festgestellt werden. Auch für Südafrika gilt das: Auch dort wird mehr und besser sequenziert als bei uns. Wir haben in dieser Hinsicht in Deutschland also noch strukturelle Defizite und müssen deshalb vorsichtig sein.

WDR: Inwiefern ist zum Beispiel in Großbritannien das Überwachungssystem besser als bei uns?

Hengel: Es kann dort viel mehr sequenziert werden, weil das Netzwerk aus Einrichtungen für Sequenzierungen und der repräsentativen Erfassung von Patientenproben über einen langen Zeitraum, mindestens einem Jahrzehnt, systematisch aufgebaut worden ist. Und  diese Struktur kann für viele Erreger und jetzt natürlich für SARS-CoV-2 genutzt werden. Das System wurde zum Beispiel auch für die Erfassung von antibiotikaresistenten Bakterien errichtet. Aus diesen Gründen brauchen wir ein vergleichbares System auch in Deutschland und können so die molekulare Überwachung der Infektionserreger deutlich verbessern. 

WDR: In Deutschland sollen Coronaviren systematischer sequenziert werden. Seit Kurzem bekommen die Labore eine Vergütung dafür und müssen ihre Erkenntnisse an das Robert-Koch-Institut weiterleiten. Kann Deutschland damit jetzt aufholen?

Hengel: Man wird sicher nicht innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen das schaffen, was die Engländer innerhalb vieler Jahre aufgebaut haben. Wir müssen also im Moment mit den in Deutschland bestehenden Möglichkeiten arbeiten. Natürlich ist es jetzt richtig, dass man Anreize setzt, um kurzfristig eine viel höhere Zahl von Sequenzierungen zu erreichen. Aber es geht auch darum, dass wir über die jetzige Pandemie hinausdenken und ein System etablieren, das zukünftig die Abbildung von Infektionserregern besser ermöglicht.      

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