Beginn der Corona-Pandemie - die Karneval-Sitzung von Gangelt
Stand: 12.02.2021, 15:53 Uhr
Vor einem Jahr kamen in Gangelt im Kreis Heinsberg Menschen zusammen, um Karneval zu feiern - es sollte das erste Superspreader-Event der Corona-Pandemie werden. Ein Jahr danach hat sich im Ort einiges verändert.
Von Matthis Jungblut
Es ist eine einfache Mehrzweckhalle in Langbroich-Harzelt, einem Ortsteil der Gemeinde Gangelt im Kreis Heinsberg, wo in Nordrhein-Westfalen alles anfängt. Beim Bürgertreff Langbroich findet am 15. Februar die jährliche Kappensitzung statt - ein Höhepunkt der örtlichen Aktivitäten im Karneval.
Mit dabei: Mindestens ein mit dem Coronavirus infizierter Jeck. Niemand ahnt etwas. Die erste Infektion wird erst eine Woche später festgestellt - am 25. Februar.
Bis heute ist nicht klar, wo und wie sich der Mann angesteckt hat. Was aber schnell klar ist: Er hat mitgefeiert in Langbroich-Harzelt - und damit das erste Superspreader-Event ausgelöst. Viele andere Gäste der Sitzung werden danach ebenfalls positiv getestet. Zwölf Tage später waren es 20 bestätigte Covid-19-Fälle in dem Kreis an der niederländischen Grenze, etwa Tausend Menschen waren sicherheitshalber in Quarantäne.
"Ich habe einfach gedacht: Ich habe mich ein bisschen überarbeitet."
Dann ging alles sehr schnell: Schulen und Geschäfte werden geschlossen und Heinsberg wurde bundesweit bekannt als Corona-Hot-Spot und zum Synonym für das unbekannte Virus.
Patrick Houben von der Gemeindeverwaltung Gangelt war damals bei der Kappensitzung dabei. Später bemerkte auch er Symptome, testen lassen konnte er sich aber nicht. "Wir warteten damals auf die klassischen Symtome wie Husten und Fieber und erst dann konnte man einen Test machen. Die Kapazitäten waren ja noch lange nicht so große wie heute. Ich habe einfach gedacht, ich hab mich ein bisschen überarbeitet und habe deshalb schwere Kopfschmerzen. Ich glaube, dass es vielen so ergangen ist."
Im Nachhinein erscheint das Geschehen wie ein Miniaturausgabe des späteren bundesweiten Lockdowns. In den Supermärkten begannen Hamsterkäufe, Mehl wurde rationiert, Nudeln knapp und vor der Apotheke bildete sich eine Schlange.
Ein Jahr später ist Gangelt gespalten
Spontan schlossen sich damals mehrere Gangelter zu einer Nachbarshaftshilfe zusammen, die Einkäufe organisierten. Marion Böhm war eine von ihnen. "Von einem Tag auf den anderen waren hier tausende Menschen in Quarantäne und es war nicht gewährleistet, dass diese Menschen mit Lebensmitteln versorgt werden."
Ein Jahr später hat sich Gangelt verändert, sagt sie. "Wir haben gespaltene Lager: Leute, die die Maßnahmen ernst nehmen, andere die sie eben nicht ernst nehmen, die lachen, was ich nicht okay finde. Denn niemand von uns weiß, wie schwer wir erkranken, wenn wir infiziert sind."
Marion Böhm spricht offen über ihre Ängste und Ungewissheit von damals, andere wollen lieber nicht mehr sprechen. Der Karnevalsverein "Langbröker Dicke Flaa", um dessen Sitzung es geht, schweigt. Für Interviews, Reportagen oder Statements stehe der Verein nicht zur Verfügung, erklärt Sprecher Stefan Keulen.
Das Haus der Geschichte in Bonn hat sich unterdessen einen Bierkranz und Getränkebons von der Veranstaltung gesichert. Sie sollen symbolisch für den Beginn der Pandemie in Deutschland stehen.