Warum wir wütend werden, wenn andere die Regeln brechen

Stand: 19.05.2020, 19:21 Uhr

  • Interview mit dem Sozialpsychologen Andreas Glöckner
  • In der Krise reagieren wir besonders sensibel auf Regelbrüche
  • Glöckner rät zum Perspektivwechsel

Seit Wochen bekommen wir es gepredigt: Abstandhalten ist der beste Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Kein Wunder also, dass ein Bild von FDP-Chef Christian Lindner, auf dem er sich genau an diese Regel nicht hält, für einigen Unmut gesorgt hat. Aber wieso eigentlich? Darüber haben wir mit Prof. Andreas Glöckner gesprochen. Er ist einer der führenden Entscheidungsforscher und Sozialpsychologen in Deutschland und unterricht an der Universität zu Köln.

WDR: Das Foto von Christian Lindner, wie er jemanden vor einem Restaurant umarmt, hat für ziemlich viel Empörung gesorgt. Warum?

Andreas Glöckner: Ein Problem ist, dass man in solchen Situationen bei anderen so eine Verhaltensweise der Person zuschreibt. Es ist einfach eine allgemeine Tendenz, dass man bei sich selber immer die Umstände heranziehen kann und sagen kann: Das lag zum Beispiel daran, dass ich gestresst war und bei anderen denkt man eher, dass das an der Person liegt.

WDR: Sind wir aktuell in der Corona-Krise noch empfindlicher, was so ein Verhalten angeht?

Glöckner: Genau. Das ist ja jetzt eine Situation, bei der es darauf ankommt, dass wir alle zusammenhalten und solidarisch sind. Menschen reagieren dann besonders sensibel, wenn sich jemand nicht daran hält. Das macht auch evolutionär relativ viel Sinn, weil die Kooperation zwischen Menschen in solchen Momenten super wichtig ist und deshalb hat man dann so eine emotionale Reaktion.

WDR: Macht es dabei einen Unterschied, über wen wir sprechen?

Glöckner: Wir versuchen, ein stimmiges Bild von jemandem zu haben und fügen dann möglicherweise Informationen hinzu, die gar nicht da waren. Deshalb kann das sein, dass man genau dasselbe Verhalten bei der besten Freundin zum Beispiel ganz anders interpretiert hätte, weil man einer Person, die man mag, nicht so viele negative Dinge unterstellt. Dieses Hinzufügen von Informationen ist ein ganz automatischer Prozess - das wird einer Person aber gar nicht gerecht, wenn man zum Beispiel sagt: "Das hat er bestimmt mit Absicht gemacht."

WDR: Wie kann es denn gelingen, in solchen Situationen entspannt zu bleiben?

Glöckner: Was wirklich hilft, ist, sich in die andere Person hineinzuversetzen. Zu sagen: Okay, ich in der Situation.. hätte mir das nicht auch passieren können? Und dass man auch gerade bei Politikern sich klar macht: Das sind auch ganz normale Menschen, die auch Fehler machen. Der andere Aspekt ist, dass man sich überlegt: Wie hätte man reagiert, wenn das zum Beispiel der beste Freund gewesen wäre? Dann sieht man auch den Unterschied, ob man bei der einen Person nicht vielleicht ein bisschen zu viel in die Situation hinein interpretiert.

Das Interview führte Anastasiya Polubotko

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