Wann, wo und wie stark trifft uns die Corona-Welle im Herbst? Und lassen sich steigende Fallzahlen und Hotspots allein über Tests frühzeitig genug erkennen, um gegenzusteuern? Eine groß angelegte Abwasser-Analyse könnte dabei helfen. Anderswo in Europa gibt es das schon. In Köln zeigt die Methode nun: Die Hälfte aller Corona-Infektionen bleibt unerkannt.
Inzidenz laut Abwasser-Analyse doppelt so hoch
Das sagte Johannes Nießen, Leiter des Kölner Gesundheitsamtes und Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Die offizielle Inzidenz liegt aktuell (Freitag) bei rund 800, durch die Abwasser-Analyse wissen wir aber, dass sie tatsächlich bei über 1.500 liegt."
Eben das ist ein großer Vorteil der Abwasser-Analyse auf Coronaviren: Sie erfasst auch Infektionen von Menschen, die keine oder noch keine Symptome haben und somit oft keinen Corona-Test machen. Zur Toilette muss schließlich jeder. "Damit liegen diese Befunde bereits mehrere Tage vor den offiziellen Zahlen vor", teilt das Bundesforschungsministerium auf seiner Website mit.
Die Abwasser-Analyse koste wenig und der Aufwand sei gering, meint Nießen. Allerdings müsse man bei den Analysen auch stets verschiedene Umstände einberechnen, sodass das Ergebnis nicht verfälscht wird, heißt es in einem Bericht des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom Juni. Dazu gehört zum Beispiel die Menge des Wassers in den Kanälen, die je nach Wetterlage schwankt. Auch gäbe es Unsicherheiten bei der Virusmenge pro Mensch.
Auch Lauterbach setzt nun auf Abwasser-Analyse
Vor ein paar Tagen erst kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein neues "Pandemie-Radar" an, um genauere Vorhersagen über neue Corona-Wellen zu ermöglichen. Dazu solle auch die Abwasser-Überwachung ausgebaut werden, sagte Lauterbach.
"Die europäische Gesundheitsbehörde ECDC empfiehlt schon seit vergangenem Jahr, dass so was flächendeckend eingesetzt wird. Da sind andere Staaten deutlich weiter als Deutschland", sagt Antje Sieb von der WDR-Wissenschaftsredaktion. Ein fester Bestandteil der Pandemie-Überwachung ist die Abwasser-Analytik insbesondere in den Niederlanden, Belgien, Österreich und der Schweiz. In Deutschland gibt es bislang nur verschiedene Forschungsprojekte, unter anderem an der RWTH Aachen.
Nießen: Alle Kommunen sollten mitmachen
Am EU-Abwassermonitoring nähmen derzeit erst 20 deutsche Städte teil, sagte Nießen, der auch Mitglied des Corona-Expertenrates der Bundesregierung ist. "Optimal wäre, wenn alle Kommunen mitmachen würden. Je mehr Städte daran teilnehmen, desto präziser wird unser Bild vom Infektionsgeschehen", so Nießen.
Knapp 10.000 öffentliche Kläranlagen gibt es in Deutschland. An so vielen Standorten sei eine Corona-Analyse aber gar nicht nötig, meint Abwasser-Expertin Susanne Lackner von der Technischen Universität Darmstadt. "Die müssten wir nicht alle überwachen", sagte sie kürzlich dem "Spiegel". "Rund 250 Kläranlagen würden ein gutes Lagebild zeichnen."
Eine breitere Abwasser-Analyse würde übrigens auch bei der Gen-Sequenzierung helfen. Somit ließe sich auch das Lagebild zur Ausbreitung der Corona-Varianten und Herkunft der jeweiligen Viren verbessern. Das Robert Koch-Institut sieht in der flächendeckenden Gen-Sequenzierung ein wichtiges Tool, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Mehr dazu hier:
Über dieses Thema berichtet am 04.07.2022 um 16.00 Uhr auch "WDR aktuell" im WDR Fernsehen.