Corona-Impfpflicht: Im Frühjahr kaum noch möglich

Stand: 09.01.2022, 17:03 Uhr

Noch vor Kurzem hieß es, die allgemeine Impfpflicht komme spätestens im März. Das ist kaum noch zu schaffen. Ein Grund: der parlamentarische Terminkalender.

Einer der zentralen Pläne der neuen Bundesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie verzögert sich offenbar: die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im ZDF noch Ende November angekündigt, die Impfpflicht solle spätestens ab "Anfang März" für alle in Deutschland gelten. Das ist kaum noch möglich.

Kommt die Impfpflicht nun später oder vielleicht nur für bestimmte Altersgruppen? Fragen und Antworten.

Warum wird die Entscheidung verschoben?

Offenbar gibt es für die Verschiebung mehrere Gründe: Einer davon ist der enge Terminplan des Bundestags. Die erste "Orientierungsdebatte" im Parlament soll nach aktueller Planung erst Ende Januar stattfinden. Wegen Karneval ist für Februar nur eine einzige Sitzungswoche angesetzt, sodass frühestens in der Woche ab dem 14. März eine Entscheidung fallen könnte. Da der Bundesrat, der dem Gesetz zustimmen muss, erst wieder am 8. April tagt, könne das Projekt nach jetzigem Zeitplan erst dann final gebilligt werden, berichtet am Sonntag der "Tagesspiegel" und beruft sich auf Koalitionskreise.

Für weitere Verzögerungen könnte sorgen, dass für die Durchsetzung einer allgemeinen Impfpflicht auch ein bundesweites Impfregister mit den Daten der Bürger aufgebaut werden müsste. Das ist nicht nur ein zusätzlicher organisatorischer Aufwand, sondern auch aus datenschutzrechtlichen Gründen hoch umstritten.

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Der für das Impfpflicht-Projekt in der SPD-Fraktion zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Tim Wiese sagte dem "Tagesspiegel", die Impfpflicht wirke ohnehin nicht kurzfristig, sondern sei "perspektivisch eine Vorsorge für den kommenden Herbst und Winter".

Gibt es überhaupt eine Mehrheit im Parlament für die Impfpflicht?

Das ist schwer zu sagen. Normalerweise stimmen Fraktionen im Parlament geschlossen über Gesetzesvorlagen ab. Im Fall der Impfpflicht hat Bundeskanzler Scholz allerdings schon angekündigt, dass die Fraktionsdisziplin in dieser Frage aufgehoben wird - das ist bei grundlegenden moralischen und ethischen Fragen eine übliche Vorgehensweise. Gleichzeitig ist das Ergebnis einer solchen Abstimmung schwer vorherzusagen.

Während die Parteispitzen der Ampelkoalition und der CDU bisher (zumindest öffentlich) eine allgemeine Impfpflicht befürworten, gibt es innerhalb aller Fraktionen auch zahlreiche Abgeordnete, die noch zweifeln oder sich offen dagegen aussprechen. Falls die Abstimmung in einer besonders "ruhigen" Phase der Corona-Pandemie stattfindet - also mit sehr geringen Infektionszahlen - könnte auch dies Einfluss auf das Abstimmungsergebnis haben.

Wie denkt die Bevölkerung über eine Impfpflicht?

Noch im Dezember sprachen sich im ARD-DeutschlandTrend 71 Prozent der Deutschen für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht für Erwachsene aus. Das waren 14 Punkte mehr als noch im Vormonat. Möglicherweise hat sich die Zustimmung seitdem etwas verringert. Darauf deutet zumindest eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die "Bild am Sonntag" hin. Demnach befürworten zurzeit 61 Prozent eine Impfpflicht, 32 Prozent sind dagegen, 7 Prozent machten keine Angabe.

Wen würde eine Impfpflicht treffen?

Eine Minderheit, allerdings eine recht große: Laut Robert-Koch-Institut (RKI) haben sich bis heute 21,2 Millionen Menschen (25,5 Prozent) nicht impfen lassen. Darunter sind allerdings auch rund vier Millionen Kinder unter fünf Jahren, für die bisher noch kein Impfstoff zugelassen ist.

Warum mehrere Millionen Ungeimpfte eine Immunisierung immer noch ablehnen, dafür gibt es mehrere Gründe. Bei einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums im Oktober 2021 gaben rund ein Drittel der Nichtgeimpften an, dass sie die verfügbaren Impfstoffe für nicht ausreichend erprobt halten. 18 Prozent erklärten, sie hätten Angst vor Nebenwirkungen, 15 Prozent meinten, das Risiko von Spätfolgen sei noch nicht einzuschätzen. Mehrfach-Nennungen waren möglich.

Zwar werden solche Sorgen inzwischen von zahlreichen wissenschaftlichen Studien widerlegt. Gegen eine diffuse Angst vor der Impfung können aber auch Studien wenig ausrichten. Die Politik muss sich also auf Widerstand einstellen. Auch weil die Bundespolitik eine Impfpflicht lange rigoros ausgeschlossen hat. Ein gutes Beispiel ist diese Pressemitteilung der SPD vom Mai 2020, in der es heißt: "Es kann und es wird keine Impfpflicht geben."

Ist eine Impfpflicht angesichts von Omikron noch angemessen?

Die Omikron-Variante hat die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht verändert. Anders als noch bei der Delta-Variante hat die Schutzwirkung der verfügbaren Impfstoffe gegen eine Ansteckung deutlich nachgelassen. Wissenschaftler wie der Bonner Virologe Hendrik Streeck halten es deshalb für zweifelhaft, ob die medizinischen Voraussetzungen für eine Impfpflicht noch bestehen. Dieses Argument könnte auch eine Rolle spielen, wenn sich Impfgegner juristisch gegen das Gesetz zu Wehr setzen.

Andere Wissenschaftler wie der Berliner Virologe Christian Drosten sehen das anders. Das Ansteckungsrisiko in der Omikron-Welle sei zwar laut einer Studie für Ungeimpfte und doppelt Geimpfte gleich hoch, erklärte Drosten im NDR-Podcast "Coronavirus-Update". Bei Menschen mit einer Booster-Impfung sinke das Risiko aber um 54 Prozent.

Gibt es Alternativen?

Ein Teil der FDP-Fraktion im Bundestag will einen Antrag ins Parlament einbringen, der eine Impfpflicht nur für Menschen über 50 vorsieht. So eine Vorschrift hat aktuell Italien eingeführt. Das Argument: Vor allem diese Altersgruppe sei besonders gefährdet, mit einem schweren Covid-19-Verlauf ins Krankenhaus zu müssen und das Gesundheitssystem zu überlasten.

Eher unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich, ist auch, dass sich die Impfquote im Laufe des Jahres noch stark verbessert. Für 2022 sind gleich mehrere neue Impfstoffe angekündigt, die auf traditionelle Weise eine Immunisierung hervorrufen: zum Beispiel so genannte "Totimpfstoffe". Diese könnten für einen Teil der Impfskeptiker eine akzeptable Option sein. Bei einer stark verbesserten Impfquote wäre keine Impfpflicht mehr nötig.

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