Weniger Geld: Welche Zukunft haben Freiwilligendienste?
Stand: 15.09.2023, 08:03 Uhr
85.000 Freiwillige arbeiten in der Pflege, in Werkstätten für Behinderte oder im Naturschutz für ein Taschengeld. In diesem Jahr gibt der Bund dafür 326 Millionen Euro aus. 2024 will er diese Hilfen um fast 25 Prozent kürzen. In Paderborn gab es massive Kritik.
Von Uwe Pollmann
Es ist vor allem eine Frau, die das Thema in die Schlagzeilen gebracht hat; und die auch auf dem Podium beim WDR-Stadtgespräch saß: Marie Beimen aus Schwerte. Die junge Freiwillige hat eine Petition gegen die Kürzung der Dienste in Gang gesetzt, die am 18. September im Petitionsausschuss des Bundestages behandelt wird. Über 100.000 Unterschriften kamen zusammen.
Petition mit über 100.000 Unterschriften
Marie Beimen und Thomas Günther
"Wir wurden von Anfang an von den Organisationen, von den Freiwilligendiensten unterstützt", so Beimen. Innerhalb kürzester Zeit seien die Unterschriften zusammen gekommen. Viele Freiwillige hätten gesammelt, aber auch Krankenhäuser, Heime und viele andere Träger der Dienste.
Caritas: Viertel der Freiwilligen-Plätze fallen wegen Kürzung weg
Kein Wunder, denn die anvisierten Kürzungen würden massive Einschnitte bedeuten, sagte Thomas Günther vom Caritasverband des Erzbistums Paderborn beim WDR-Stadtgespräch: "Für uns wird das konkret heißen, dass wir ab 2024 etwa 25 Prozent weniger Plätze anbieten können." Dabei seien die Freiwilligendienste enorm wichtig: "Das ist eine Investition in die Zukunft." Aber es gehe auch um "Generationenzukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit".
Bertelsmann-Stiftung: schlechte Rahmenbedingungen
Unverständnis über die geplanten Kürzungen äußerte auch Mehrdad Mehregani von der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung, Autor einer Studie über Freiwilligendienste: "Eigentlich müssten wir darüber reden, wie können wir die Rahmenbedingungen für diese jungen Menschen noch attraktiver machen." Die Freiwilligen seien hoch motiviert, würden aber "für einen Appel und ein Ei" arbeiten. Das ihnen zustehende Taschengeld liege oftmals "bei 200, 250 Euro". Obwohl die Sätze dafür eigentlich höher lägen.
Das Geld würde mitnichten ausreichen, weil überall die Preise steigen, klagte auch Marie Beimen: "Wir Freiwillige sind davon genau so betroffen, werden aber gleichzeitig nicht bei einer Inflationsausgleichprämie einbezogen. Und kriegen ein Taschengeld, was sich auf circa drei Euro die Stunde bewegt, für 150 Stunden Vollzeitengagement im Monat."
Nur ein Zehntel eines Jahrgangs machen Freiwilligendienst
Moderatorin Judith Schulte-Loh
Dabei würden gern viel mehr Menschen einen Freiwilligendienst machen. Leider aber könnten es sich viele nicht leisten. Auch die Bertelsmann-Stiftung hat festgestellt, dass nur knapp ein Zehntel eines Jahrgangs sich dazu entscheidet. Und oft seien es Menschen aus bessergestellten Familien, die Geld für den Lebensunterhalt zuschießen können.
Dass der Bund trotzdem kürzt, hat natürlich mit der Haushaltslage zu tun. Aber auch mit einem anderen Fakt, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Stefan Schwartze: "Wir haben in den vergangenen vier Jahren nicht abgerufene Mittel in diesem Bereich gehabt, zwischen 35 Millionen im Jahr und etwas über 60 Millionen in einem anderen."
SPD-Abgeordneter Schwartze sagt Unterstützung zu
Schwartze will aber bei den Haushaltsverhandlungen für die Dienste kämpfen. Und es würden ja unter anderem schon Gespräche vom Familienministerium mit der Kultusministerkonferenz geführt, "um Anerkennung bei Pflichtpraktika für Studium oder so was hinzubekommen". Auch wünscht er sich ein gratis Deutschlandticket für Freiwillige.
Moderator Stefan Leiwen im Gespräch
Besucher beim WDR-Stadtgespräch hofften, dass das gelingt. Denn der Freiwilligendienst müsse gestärkt werden, sagt eine Frau: "Leider ist die Wertschätzung in der Gesellschaft für einen Freiwilligendienst auch nicht so groß, dass man Jugendlichen zugesteht, einfach auch mal nach der Schule ein Jahr zu machen, um sich selber auszuprobieren, selber einen Weg zu finden, was mich interessiert." Und ein anderer Besucher ergänzt: "Diese Phase ist extrem prägend."