Seit Anfang Januar lebt Mohamed in einer Wohngruppe des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Bielefeld. Die Flucht war der Horror, sagt der 14-Jährige: "Ich bin aus Syrien nach Libyen geflohen. Dort war ich einen Monat und bin dann fünf Tage über das Meer gefahren. Es war sehr schrecklich. Die Wellen waren gefährlich. Ich hatte Todesangst. Von Italien kam ich nach Deutschland." Das Erlebte macht ihm zu schaffen. Er wurde von Schleusern misshandelt und auf dem Schiff war es so eng, dass Flüchtlinge teilweise "übereinander gepackt" wurden: "Wir waren froh, an Land zu sein."
Betreuung junger Flüchtlinge – eine große Herausforderung
Vor Monaten haben ihn die Eltern aus dem Bürgerkriegsland losgeschickt. Der Junge ist einer von sieben Minderjährigen in der ASB-Wohngruppe. Andere sind aus Afghanistan oder dem Irak. In Bielefeld werden sie zunächst umfassend versorgt, sollen Ruhe finden und vielleicht über das Erlebte erzählen, sagt die pädagogische Leiterin Theresa Heckel: "Damit sie die ganzen Geschichten loswerden können."
Die Erzählungen der Kinder und Jugendlichen sind erschütternd, Leid und Einsamkeit übermächtig. Für die Betreuer ist das eine große Herausforderung. Sie müsse aufpassen, all das "nicht mit nach Hause zu nehmen", sagt Heckel. Aber natürlich tue sie alles, "dass es den jungen Menschen hier so gut wie möglich geht und ihre Bedarfe erfüllt werden können".
Einrichtungen finden kaum noch pädagogische Fachkräfte
Ralf Mengedoth, ev. Jugendhilfe Schweicheln
Doch gerade das ist für viele Einrichtungen schwer. Es fehlen Fachkräfte. Das geht auch einer großen Organisation wie der Evangelischen Jugendhilfe Schweicheln im Kreis Herford so. Sie betreut für den Kreis 60 junge Flüchtlinge in Wohngruppen, sagt Leiter Ralf Mengedoth. Alle Bitten der Kommunen kann sie nicht erfüllen. Räume und Fachpersonal seien schwer zu finden: "Das ist anders als 2015/16. Da gab es mehr Dynamik, sich in dem Bereich zu engagieren." Es müsse viel in die Jugendhilfe investiert werden.
Ähnlich sieht es auch in anderen Kreisen und Kommunen aus. Ein Grund ist, das vielerorts solche Wohngruppen abgebaut wurden, weil in den Jahren nach der großen Einwanderung um 2015 auch weniger junge Flüchtlinge kamen. Und: auch auf die Ausbildung der Fachkräfte wurde nicht so viel Wert gelegt.
"Brückenlösungen" gegen Fachkräftemangel
Die Folge: Der Kreis Herford schickt nun Fachkräfte aus Jugendzentren in die Betreuung junger Flüchtlinge. Das habe jetzt "Priorität", sagt Sozialdezernent Norbert Burmann: "Wir können unsere Jugendzentren nicht mehr wie gewohnt öffnen." Und in Einrichtungen für junge Geflüchtete dürfen nicht qualifizierte, engagierte Menschen als "Brückenlösung" arbeiten. "Übergangsweise" können pädagogische Standards nicht erfüllt werden, so Burmann, obwohl das weiter sein Ziel sei. Das Land NRW hat es ermöglicht, um "Unterbringung, Betreuung und Versorgung der jungen Menschen auch unterhalb der bestehenden Standards" abzusichern, so das Kinder- und Jugendministerium.
Auch Bielefelds Sozialdezernent Ingo Nürnberger hat das mit den Trägern vereinbart. Es laufe sehr gut. Noch nicht gut laufe aber die Finanzierung durch das Land. Es gebe nämlich "Vorhaltekosten" für Plätze, die man provisorisch freihalten müsse. Das bekomme die Kommune nicht immer refinanziert. Auch müsse man "relativ lange warten, bis das Land wirklich die Kosten erstattet".
Erdbeben kann zu noch mehr Flüchtlingen führen
Das aber sei jetzt wichtig, denn es würden nicht weniger Flüchtlinge kommen, sagt Nürnberger: "Man muss auch sagen, dass das Erdbeben jetzt möglicherweise auch zum Beispiel in Syrien für so große Probleme sorgt, dass nochmal mehr Menschen sich auf den Weg machen. Und Eltern gerade ihre Kinder und Jugendlichen in Sicherheit wissen wollen."
Der junge Syrer Mohamed ist jedenfalls froh, in Sicherheit zu sein. Er will nun erst mal zur Schule gehen und, wenn es geht, seiner Familie helfen. Am liebsten hätte er sie bei sich: "Die Lage in Syrien ist schrecklich. Wir haben wenig Geld. Mein Vater arbeitet als Reinigungskraft. Er verdient 30 Euro im Monat. Damit kann man nicht viel machen. Es ist sehr schlimm."
Über das Thema berichten wir auch in der Lokalzeit OWL im WDR Fernsehen.