Mordversuch an Polizisten: Angeklagter und Opfer sagen vor Gericht aus
Stand: 28.09.2023, 13:49 Uhr
Im Prozess um einen mutmaßlichen Mordversuch an zwei Polizisten in Lübbecke haben der Angeklagte und eines der Opfer ausgesagt. Der Angeklagte soll die zwei Beamten mit seinem Auto in Lübbecke rücksichtslos umgefahren haben.
Von Oliver Köhler
Es sei eine völlig unsinnige Tat gewesen, ließ der 21-Jährige von seinem Verteidiger verlesen. Der Angeklagte gab an, dass er unter großem psychischen Druck gestanden habe.
Als ihn die Beamten kontrollierten, habe er einfach nur weggewollt. Den Rückwärtsgang habe er aus Versehen eingelegt. Dass er die Polizisten mit seinem Wagen mitschleifte und schwer verletzte, will er kaum wahrgenommen haben. Trotzdem wertet die Staatsanwaltschaft das als versuchten Mord.
"Ich dachte, ich sterbe!"
Auch einer der schwerverletzten Beamten machte am Donnerstag eine Aussage bei Gericht. Er schilderte seine Todesangst, als die Verkehrskontrolle aus dem Ruder lief: "Er fuhr Vollgas. Immer schneller. Halt an, halt an, habe ich gerufen. Aber er hat mich nur angeguckt. Ich dachte, ich sterbe!" Der erfahrene Polizist und sein Kollege hatten den jungen Mann kontrollieren wollen, weil es aus dem Wagen verdächtig nach Marihuana roch.
Was war passiert?
Am 20. März 2023 wollten der 55 Jahre alte Polizist und sein 43 Jahre alter Kollege gegen 21:45 Uhr einen Autofahrer in Lübbecke überprüfen. Staatsanwalt Veith Walter schilderte den Ablauf an jenem Abend wie folgt: Die Beamten stoppten den Fahrer. Der kurbelte das Fenster herunter, die Beamten vernahmen den Mariuhana-Geruch.
Die Polizisten verlangten daraufhin die Papiere des Fahrers und forderten ihn auf, den Motor auszustellen. Stattdessen legte der Angeklagte den Rückwärtsgang ein. Der jüngere Polizist öffnete die Fahrertür und versuchte den Zündschlüssel abzuziehen. Der Fahrer gab Gas. Beide Polizisten wurden mitgerissen.
Dramatische Situation für Polizisten
"Lass das sein. Wir lassen jetzt los. Und dann hau ab", soll der jüngere Polizist in dieser Notsituation gesagt haben, so Staatsanwalt Walter. Der Beamte war in der Tür eingeklemmt, sein älterer Kollege klammerte sich an der Motorhaube fest. Doch der Fahrer habe gar nicht daran gedacht aufzuhören. Erst habe er noch rückwärts ein geparktes Auto und ein Verkehrsschild gerammt. Dann habe er in den Vorwärtsgang geschaltet und im Zick-Zack-Kurs beschleunigt.
Beide Polizisten wurden mitgeschleift und schleuderten erst nach etwa 200 Metern vom Wagen weg. Sie blieben mit teils komplizierten Knochenbrüchen auf der Straße liegen. Der ältere Polizist erlitt darüber hinaus ein Schädel-Hirn-Trauma.
Ausgebranntes Auto im Nachbarort entdeckt
Die verletzten Beamten schafften es, die Leitstelle zu informieren. Von dort wurde eine Fahndung nach dem Flüchtigen eingeleitet. Zunächst ohne Erfolg. Die beiden schwer Verletzten kamen in Krankenhäuser. Lebensgefahr bestand nicht.
Dennoch richtete die Polizei eine Mordkommission ein. Spezialisten eines so genannten Verkehrsunfallaufnahme-Teams untersuchten den Tatort und sicherten Spuren.
Noch in der Nacht riefen aus dem rund zehn Kilometer entfernten Nachbarort Espelkamp Zeugen bei der Polizei an. Sie meldeten ein brennendes Auto. Es stellte sich heraus, dass es sich um das gesuchte Fahrzeug handelte. Der Fahrer war verschwunden. Er hatte das Auto augenscheinlich angezündet, um Spuren zu beseitigen.
Obwohl der Flüchtige nicht der Eigentümer des Wagens ist, konnte ihn die Polizei Stunden später aufspüren und festnehmen. Ein Richter erließ Haftbefehl wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Brandstiftung und versuchten Mordes.
Lebenslange Haftstrafe möglich
Obwohl es kein vollendeter Mord war, kann gegen den Angeklagten eine lebenslange Haftstrafe verhängt werden. Das hängt vom Verlauf des Prozesses am Landgericht Bielefeld ab. Die beiden Polizisten treten als Nebenkläger in dem Verfahren auf.
Die Kreispolizeibehörde teilte auf Anfrage des WDR mit, dass der 43-jährige Beamte mittlerweile wieder im Dienst sei. Der 55-Jährige sei dagegen noch immer im - so wörtlich - Krankenstand. Das Landgericht Bielefeld hat bis November zunächst einmal sechs Verhandlungstage angesetzt.
Landrat fordert strenge Strafe
Für den Landrat des Kreises Minden-Lübbecke, Ali Doğan (SPD), der zugleich auch Leiter der Kreispolizeibehörde ist, gilt: Null Toleranz. Offensichtlich suchten die Menschen immer häufiger einen Blitzableiter für ihren eigenen Frust, macht er im Interview mit dem WDR deutlich. Menschen, die sich für die Gesellschaft einsetzen, seien aber die falschen Adressaten.
Im Kreis Minden-Lübbecke haben sich tätliche Angriffe auf Polizisten in den vergangenen drei Jahren vervierfacht. Jetzt erwartet der Landrat eine saubere Aufarbeitung durch die Justiz: "Sollten sich die Tat so bewahrheiten, sollte der Täter die strengstmögliche Strafe erhalten."
Das Landgericht Bielefeld hat bis November zunächst einmal sechs Verhandlungstage angesetzt.
Prozessauftakt: Versuchter Mord an Polizisten
Lokalzeit OWL. 22.09.2023. 03:16 Min.. Verfügbar bis 22.09.2025. WDR. Von Oliver Köhler.