Überstunden-Stau bei der Kripo
Stand: 02.06.2023, 07:52 Uhr
Mord, Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge, Rocker- und Clan-Kriminalität. Bei schweren Verbrechen jagt die Kriminalpolizei die Verdächtigen durchs ganze Land. Niemand schaut bei diesem Job auf die Uhr. Und so sammeln sich Millionen von Überstunden an.
Von Stephanie Hajdamowicz
Die Zahlen sprechen für sich: Allein in Nordrhein-Westfalen haben die etwa 40.000 Polizistinnen und Polizisten inklusive der Verwaltungsleute Stand Ende 2022 mehr als fünf Millionen Überstunden gemacht, so ein Sprecher des NRW-Innenministeriums.
Besonders betroffen sind große Städte wie Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Essen und Köln, sagt der Bund Deutscher Kriminalbeamter. In Duisburg beispielsweise hat die Kripo im Jahr 2022 knapp 64.000 Überstunden gemacht. Manch einer hat aktuell weit über 1.000.
Arno Eich - Leiter der Mordkomission Duisburg
Erfahrene Ermittler leiden unter Überstunden-Stau bei der Kripo. Arno Eich verantwortet die Mordkommissionen in Duisburg und ist aktiv im Bund Deutscher Kriminalbeamter. Er sagt, die Gewaltdelikte steigen rasant an - damit auch die Überstunden. Die Mitarbeiter in seinem Kommissariat schaffen es nicht, alle Überstunden abzubauen. Und so drohe die Gefahr, dass in Zukunft nicht mehr alle Fälle gleich gut ermittelt werden können.
Behörden, wo niemand mehr hin will
Sebastian Fiedler ist für die SPD seit 2021 im Bundestag und der kriminalpolitische Sprecher seiner Fraktion. Er kritisiert den NRW-Innenminister, sich viel zu spät mit den Überstunden bei der Kripo und den Spezialkräften wie den Hundertschaften beschäftigt zu haben.
Das Personalproblem bei der Polizei sei nicht gleichmäßig verteilt und inzwischen so groß geworden, dass es Behörden gebe, wo niemand mehr hin wolle, sagt Fiedler. "Es gibt eine Zwangsrekrutierung zur Kripo, weil Leute lieber im Streifendienst weiter arbeiten wollen als bei der Kripo."
Fiedler, früher Bundesvorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter, fordert eine Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, um die Kripo zu stärken. Wichtig sei dabei, dass das Thema Geld erst mal nicht an vorderster Stelle stehe. Und auch der Weg hin zur Kripo-Ausbildung müsse verbessert werden.
IT-Experten sollen die Kripo entlasten
Innenminister Herbert Reul, CDU, wisse um die hohe Belastung in der Kriminalpolizei, schreibt sein Sprecher auf WDR-Anfrage. "Deshalb haben wir extra die Landesarbeitsgruppe Pro K eingerichtet. Personal alleine hilft da nicht, sondern wir müssen unsere Arbeit auch erleichtern –durch Modernisierung und Digitalisierung", so Reul.
Die IT-Ausstattung sei verbessert worden. Aktuell würden 110 IT-Experten eingestellt, um die Ermittler zu entlasten. Seit 2019, so Zahlen des Innenministeriums, sind die Überstunden insgesamt bei der Polizei schon etwas gesunken. Auch wolle man jährlich bis zu 3.000 Kommissaranwärter einstellen, heißt es.
Unterversorgte Behörden
Für Oliver Huth, Landesvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter, und erfahrener Ermittler im LKA, ist das Ganze nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. In großen Behörden sei die Überstundenzahl enorm, die Behörden unterversorgt.
Immer mehr Überstunden bei der Polizei
Beispiel Duisburg: Rocker, Clan-Kriminalität, eine Mordkommission nach der anderen. Von einer funktionsfähigen Kripo sei man in Duisburg weit entfernt. Huth: "Die Kripo ist unterversorgt. Wir können dem gesetzlichen Anspruch und Auftrag nicht nachkommen."
Die Bürger würden bald merken, dass Anzeigen teilweise schnell eingestellt und nur noch verwaltet werden würden. "Das Vertrauen in den Rechtsstaat sinkt und liefert Argumente für extremistische Parteien", befürchtet Huth.
Vertrauen in Rechtsstaat gefährdet
Mit den Überstunden bei der Kripo ist es kompliziert. Es gibt Mehrarbeitsstunden, die angeordnet werden. Dann gibt es ein Zeitguthaben. Und neuerdings ein Langzeitarbeitskonto. Wer mehr als 240 Überstunden hat, sollte sie abfeiern. Nur wie?
Der Kripo würde zu viel abverlangt, was mit dem aktuellen Personalstamm nicht zu leisten sei. Oft hätten Kollegen Schlafdefizite, seien übermüdet und würden auf Dauer krank. So etwas dürfe sich nicht häufen, sagt Eich.
"Die normalen Tage gehen nicht unter 9-10 Stunden zu Ende", sagt er. Es gebe regelmäßig Verstöße gegen die Arbeitszeitverordnung. Weil es zu wenig Leute gibt und dazu noch viele Teilzeitkräfte.
Angriffe auf den Staat befürchtet
Die Gewaltdelikte nehmen zu
Physisch seien viele Ermittler an ihre Grenzen angekommen. Monatelang schleppten sie hunderte Überstunden mit sich, so Huth. Würde beispielsweise ein Lehrer oder eine Lehrerin so viele Überstunden machen müssen, würden die Personalräte sofort einschreiten.
Nur bei der Kripo werde das geduldet, das sei eine Katastrophe. Wenn sich nichts ändern wird, sind die Prognosen düster. Die erfahrenen Ermittler rechnen dann bald mit Verhältnissen wie in Belgien oder den Niederlanden.
Dort greife die Drogenmafia den Staat an. Nach Vorbildern wie in Lateinamerika. Weit entfernt davon seien wir nicht, so die düstere Prognose der Ermittler, die seit vielen Jahren Verbrechen bekämpfen.