Dr. Johann Spittler gehört zu den bekanntesten Ärzten in Deutschland, die sich mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigen. "Eigentätige Lebensbeendigung und Suizid-Beihilfe" steht als ein Themen-Schwerpunkt auf seiner Homepage, die man über die Seite der Ruhr-Universität Bochum aufrufen kann. Dort hat der emeritierte Neurologe früher auch als Dozent an der Medizinischen Fakultät gearbeitet. Jetzt wehrt sich der 81-Jährige aus Datteln gegen massive Vorwürfe.
Vorwurf: Arzt soll Fall nicht genug geprüft haben
Spittler soll einem 42-jährigen Mann aus Dorsten zum Selbstmord verholfen haben, ohne dessen Gesundheitszustand vorher zu prüfen. Laut Anklage war der Mann aber psychisch nicht in der Lage, seinen Gesundheitszustand klar zu beurteilen. Ärztliche Beihilfe zum Selbstmord ist jedoch nur dann erlaubt, wenn bei dem Patienten die "Freiveranwortlichkeit" sichergestellt ist, er also frei verantwortlich selbst entscheiden kann.
Das soll im Fall des Dorsteners aber nicht der Fall gewesen sein. Johann Spittler soll sich im Wesentlichen auf die Äußerungen seines Patienten verlassen und Berichte von anderen Ärzten nicht ausreichend genug gelesen haben. Die Anklage lautet deshalb: Totschlag.
Arzt: Keine leichtfertige Entscheidung
Der Angeklagte nahm zum Prozessauftakt beim Landgericht Essen am Dienstag ausführlich Stellung zu den Vorwürfen. Spittler sprach über eine Stunde im Gerichtssaal und schilderte seine Sicht der Dinge. Demnach habe er sich intensivst mit dem Fall beschäftigt und sei nicht leichtfertig zu der Entscheidung gekommen, Sterbehilfe zu leisten.
Anfang 2020 sei der Patient mit dem Sterbewunsch auf ihn zugekommen, weil er aufgrund schwerer Erkrankungen keine Lebensperspektive mehr gesehen habe. Er soll wegen einer Augenerkrankung um seine Sehfähigkeit gebangt haben. Auch depressive und schizophrene Zustände hätten sein Leben massiv eingeschränkt. Über Monate soll es Gespräche gegeben haben. Auch die Mutter des Dorsteners soll mit dem Suizidwunsch einverstanden gewesen sein.
Konnte der Patient seine Lage einschätzen?
Schließlich kam es im Sommer 2020 dazu, dass der Arzt dem Patienten einen venösen Zugang legte, woran er eine Flüssigkeit mit einem tödlichen Medikament anschloss. Der 42-Jährige soll dann - wie bei der ärztlichen Sterbehilfe vorgeschrieben - selbst das Ventil geöffnet haben. Kurz darauf starb er.
Die Staatsanwaltschaft sieht allerdings genau in den psychischen Erkrankungen des Dorsteners das Problem in dem Fall: Durch sie sei er eben nicht in der Lage gewesen, seinen Zustand richtig zu beurteilen. Auch seine Augenkrankheit soll nicht so gravierend gewesen sein, wie der Patient selbst annahm, was Unterlagen belegen würden. Die "Freiverantwortlichkeit" sei in diesem Fall nicht gegeben gewesen.
Tabuthema Suizid
Planet Wissen. 12.03.2024. 57:58 Min.. UT. Verfügbar bis 29.10.2025. WDR.
Arzt nicht zum ersten Mal vor Gericht
Bis Ende Januar soll der Prozess in Essen diese Frage klären. Dem Arzt aus Datteln droht bei einer Verurteilung wegen Totschlags eine Strafe zwischen fünf und 15 Jahren Haft. Das Gericht wies zum Prozessauftakt aber schon darauf hin, dass am Ende auch fahrlässige Tötung als Tatbestand in Frage käme.
Für Johann Spittler ist es nicht der erste Prozess dieser Art: Er stand bereits wegen eines Falles aus dem Jahr 2012 in Hamburg vor Gericht, wurde damals aber freigesprochen.
Unsere Quellen:
- WDR-Gerichtsreporter vor Ort
- Landgericht Essen
- AFP
Über dieses Thema berichten wir am 12.12.2023 im Radio in der WDR 2 und im WDR Fernsehen in der Lokalzeit.